Wichtige Erkenntnisse, intensive Erlebnisse und GFK mit Kindern – ein Interview mit Tassilo Peters (3)

Dies ist der dritte Teil des Interviews. Wenn du den ersten und den zweiten Teil noch nicht gelesen hast, klicke hier.

Was kann ich tun, wenn ich nicht nach meinen Werten gehandelt habe und ich mich dafür verurteile?

Wenn ich mich selbst abwerte, kann ich das auch gleich genießen! Ich sage mir dann: „Ich entscheide mich jetzt für Selbstabwertung. Das mache ich jetzt so lange, wie es mir Spaß macht.“

Das Wesentliche ist, mir klarzumachen, dass es sich dabei um eine freie Entscheidung, eine „freiwillige Dienstleistung“ handelt und ich auch wählen kann, anders zu denken. Wenn es mir reicht mit der Selbstabwertung, kann ich mich für was anderes entscheiden, zum Beispiel zu schauen, wie ich mich nächstes Mal anders verhalten wollen würde, worum es mir oder dem anderen ging und wie das anders umsetzbar gewesen wäre.

Ich hab den Eindruck, dass oft bei der „Selbstwolfung“ (= Selbstabwertung) gerade darum geht, sich wehzutun. Nach dem Motto: „Das ist meine Strafe, ich verdiene es nicht anders, es soll mir schlecht gehen.“ Wie würdest du Menschen raten, damit umzugehen?

Ich würde fragen: „Wer hat was davon, dass es mir nicht gut geht?“ Wenn der andere wirklich etwas davon hat – was aus meiner Sicht nie der Fall ist – dann ist es doch okay. Wenn aber einfach niemand was davon hat und es keinen Sinn hat, sich selbst abzuwerten, wozu dann dabei bleiben?

Wenn der andere mir die Schuld geben mag und ich nehme die Schuld reumütig an, dann kann das im ersten Moment eine Genugtuung für den anderen sein. Aber absolut gesehen hat keiner was davon, weil dadurch keine tiefe Verbindung entstehen kann.

Wichtig ist, sich klarzumachen: Was bringt es und was will ich? Es ist eine freiwillige Entscheidung, mich abzuwerten und es gibt auch andere Wege.

OK! Wir sind fast am Ende: Jetzt hast du noch die Chance, Eltern drei wesentliche Erkenntnisse mit auf den Weg zu geben! Go!

Erstens: Das hab ich ja schon genannt: Die radikale Eigenverantwortung.

Zweitens: Alles ist verhandelbar! Löse dich von deinen Fixierungen.

Es gibt nichts, das „gar nicht geht.“ Zum Beispiel im Kindergarten: „Schlagen geht gar nicht!“ – das stimmt nicht, die Kinder beweisen uns doch tagtäglich, dass Schlagen geht! Die Frage ist, was steckt dahinter? Schlagen ist extrem schnell begreifbar, es ist eine universelle Sprache. Und die Kinder wollen damit ja irgendwas bewirken – ihre Ruhe haben, ihre Autonomie schützen, was auch immer. Ich mag die Strategie vielleicht nicht, aber es von Haus aus zum Tabu zu machen, finde ich unsinnig. Schlagen ist nicht einmal per se eine Strategie, die ich ablehnen würde. Wenn ein Kind entführt wird, will ich, dass es mit aller Kraft um sich schlägt.
Mir geht es darum, klarzumachen, dass wir das Leben selbst gestalten und die Kinder nicht in eine Form pressen wollen.

„Unsere Kinder sind kein weißes Blatt Papier, was wir mit dem richtigen Text vollschreiben müssen, sondern komplexe Galaxien, die wir jeden Tag mehr und mehr erforschen dürfen, ohne sie jemals ganz zu verstehen. Wenn wir heute einen kleinen Teil verstanden haben, dürfen wir morgen neugierig sein, ob es sich noch genauso verhält wie gestern.“ (Tassilo Peters in seinem Blogartikel „Erste Hilfe für Eltern!“)

Kinder sind Menschen mit Gefühlen und Bedürfnissen und solange die Eltern Fixierungen haben, schaffen sie Tabuthemen. Wenn man über alles verhandeln kann, dann gibt es sicherlich eine Lösung, die für alle okay ist und wir kommen mindestens in Verbindung. Wenn nicht, verstehen wir die Bedürfnisse des Kindes nicht oder ignorieren sie und drücken ihnen unseren Willen auf. Das bringt das Kind in eine riesige Hilflosigkeit.

Heißt das, ich muss meine Werte dann aufweichen und immer einen Mittelweg finden?

Wenn ich sage, dass man über alles reden, über alles verhandeln kann, heißt das NICHT, dass das Kind alles kriegt oder machen kann, was es will! Auf keinen Fall werde ich einer Strategie zustimmen, die für mich nicht okay ist!

Aber ich nutze die Möglichkeit, wirklich mitzugestalten und meine Werte einzubringen, wenn ich mit meinem Kind darüber spreche.  

Was wäre die dritte Sache, die du Eltern mitgeben würdest?

Ach, es gibt so vieles. Zeig dich verletzlich, sei erwartungsfrei, mach dich zum Affen, also lasse dich auf Kinderstrategien ein …

Aber was mir glaube ich noch wichtiger ist: Scheitere vorbildlich.
Das heißt, dass Eltern ein Vorbild darin werden, zugeben zu können, wenn sie nicht nach ihren Werten gehandelt haben.

Wenn ich ausgerastet bin, dann kann ich danach zu  meinem Kind hingehen und das aufräumen: „Vorhin hab ich dich angeschrien und das war nicht ok von mir, das wollte ich nicht. Ich mag, dass wir alle liebevoll miteinander umgehen. In dem Moment hab ich einfach keinen anderen Weg gesehen und das bedauere ich echt.“

Das Gefühl sagt dem Kind sowieso, dass es nicht okay war, was da passiert ist. Wenn Eltern jetzt versuchen, das zu rechtfertigen, totzuschweigen oder kleinzureden, dann traut das Kind irgendwann seinem Gefühl nicht mehr oder denkt, es sei okay, so mit anderen umzugehen. Es verliert Vertrauen und Verbindung zu uns. Wenn wir aber aufräumen und klarmachen, dass wir es selbst bedauern, dann lernt das Kind, wie es mit eigenen „Fehlern“ zukünftig sinnvoll und konstruktiv umgehen kann.

Cool, danke dir! Hast du jetzt zum Abschluss noch einen GFK-Witz für mich?

Ich liebe den Comic von Sven Hartenstein zum Thema Bedürfnisse. Bitte füge ihn hier ein, er wirkt mit Bild einfach besser!

Quelle: https://anvc.svenhartenstein.de/de/1/
Sven Hartenstein

Wenn du jetzt mehr über Tassilo Peters erfahren möchtest, kommst du hier auf seine Website. Tassilo bietet auch ein 1,5-stündiges Onlinetraining „Einführung in die Gewaltfreie Kommunikation“ an, an dem du von zuhause aus kostenlos teilnehmen kannst! Hier kannst du dich dafür anmelden.

Und hier noch mein absolutes Tassilo-Lieblingsbild!

Tassilo mit Sohn Jannis
Das Bild wurde mir zur Verfügung gestellt

Danke, Tassilo, für das aufschlussreiche und lustige Interview! War mir eine Freude! 🙂