Wichtige Erkenntnisse, intensive Erlebnisse und GFK mit Kindern – ein Interview mit Tassilo Peters (2)

Dies ist der zweite Teil des Interviews. Wenn du den ersten Teil noch nicht gelesen hast, klicke hier.

Du bist ja vor allem Trainer für Eltern und PädagogInnen. Macht das einen Unterschied? Also ist GFK mit Kindern denn grundsätzlich anders als mit Erwachsenen?

Ja, auf jeden Fall! Es ist ein großer Unterschied.

Kinder brauchen einen niederschwelligen Zugang zu GFK und sind mit manchen Situationen überfordert. Es ist zum Beispiel wichtig zu schauen, welche Gefühle ich dem Kind zumute. Ich kann einem Erwachsenen zumuten, ihm zu sagen, dass ich richtig sauer bin, aber bei Kindern ist das schwieriger. Sie fühlen sich schnell schuldig und haben dann einen starken Schutzreflex. Es ist angenehmer, wenn ich meine Gefühle etwas abschwäche, zum Beispiel indem ich sage: „Ich bin unzufrieden und mag einen Weg finden, der für uns beide passt.“ Manche Gefühle eines Erwachsenen sind für Kinder zu stark, um sie ihnen zuzumuten.

Es braucht außerdem bei Kindern viel weniger Worte, denn sie haben eine niedrigere Aufmerksamkeitsspanne – umso jünger desto kürzer! Kleine Kinder brauchen keine langatmigen Argumentationen oder Erklärungen, im Gegenteil, sie können gar nicht so lange folgen, wie manche Eltern erklären.

Tassilo Peters hat gerade für den Umgang mit Kindern ein einfaches und effektives Hilfsmittel geschaffen, das Eltern und PädagogInnen Gewaltfreie Kommunikation extrem erleichtert: den Friedensstock. Hier erfährst du mehr darüber.

Ein weiterer Unterschied ist für mich, dass bei Erwachsenen beide 50% zur Beziehung beitragen. Bei Kindern tragen die Eltern aus meiner Sicht 100% Verantwortung für die Beziehung. Ich kann mich grundsätzlich immer fragen: was habe ich dazu beigetragen, dass das Kind dies oder jenes tut oder keine Lust auf Kooperation hat.

Bis wie viel Jahre haben Eltern aus deiner Sicht mehr Verantwortung für die Beziehung als ihr Kind?

Ich würde sagen, dass Eltern grundsätzlich mehr Verantwortung für die Beziehung haben als das Kind – egal in welchem Alter. Es ist natürlich gesehen so, dass die Kinder einfach den Wunsch haben, sich an die Eltern anzulehnen. Das ist leider im Alltag oft nicht so – viele sind weiter als ihre Eltern und übernehmen mehr Verantwortung für die Beziehung. Natürlicherweise wäre aber die Verantwortung der Eltern für die Beziehung aus meiner Sicht höher.

Spannend! Diese Frage ist vielleicht jetzt etwas schwieriger: Was sind aus deiner Sicht die 3 wichtigsten Erkenntnisse, die du durch die GFK gewonnen hast?

Das ist gar nicht schwierig! Die wichtigste Erkenntnis ist: Radikale Selbstverantwortung. Die wichtigsten drei Punkte sind für mich dabei:

1. Ich bin verantwortlich für meine Gefühle.
2. Ich bin verantwortlich für meine Gedanken.
3. Ich bin verantwortlich für meine Bedürfnisse.

Das ging schnell! Vielleicht ist das schwieriger: Was war eins deiner intensivsten Erlebnisse mit GFK?

(Denkt lange nach) Ja, das ist schwieriger, es gibt viele krasse Erlebnisse.

Ich erzähl dir von einer Situation mit einer ehemaligen Partnerin von mir. Wir hatten einen Konflikt und sie war unendlich verletzt und wütend und hat Sätze gesagt wie „Ich schmeiß dich raus! Ich will dich nie mehr wieder sehen! Geh weg von mir!“ und Ähnliches.

Oh, wie hast du reagiert?

Ich habe ihr immer wieder gesagt „Ich sehe dich und du bist mir wichtig! Es kommt an, dass du total verletzt bist und dass du große Angst vor dem Schmerz hast.“ Ich habe eine halbe Stunde lang insistiert und bin nicht weggegangen. Ich hab hartnäckig Empathie und Wertschätzung gegeben und ihr gesagt, dass sie mir wirklich wichtig ist. Das Ganze dann gemischt mit Resonanz wie „Ich bedauere mein Verhalten und dass ich nicht so für dich da war …“

Nach etwa einer halben Stunde war die Widerstandsenergie aufgebraucht und die Verbindung war wieder möglich. Dann haben wir uns ungefähr fünf Minuten lang im Arm gehalten und eine ganz tiefe Verbindung miteinander erlebt. Meine Hartnäckigkeit hat dabei geholfen, dass sie wieder Vertrauen fassen und sich auf die Verbindung einlassen konnte.

Wow! Wie schwer war es, in dem Moment in der empathischen Haltung zu bleiben?

Ich hab mich vorab intensiv darauf eingestellt, dass das so kommen kann und mich entschieden, dass ich dableiben werde. Die Fähigkeiten dafür zu erlangen, in dieser Klarheit zu bleiben und mich nicht triggern zu lassen, hat ungefähr 3-5 Jahre intensive Auseinandersetzung gebraucht.

Ich möchte jetzt gerne auf die vier Schritte der GFK eingehen. Was ist das jeweils Schwierigste für dich an den einzelnen Schritten?

1. Schritt: Wahrnehmung

Mir immer wieder wirklich klarzumachen, dass ich stetig nur aus meiner Perspektive schaue und dass ich Vermutungen oder Interpretationen habe, die keine Wahrheit oder Gewissheit sind. Und die Klarheit, dass auch meine ganz simple Wahrnehmung eine andere sein kann die des anderen. Zum Beispiel: „Ich habe klar gehört, dass du gesagt hast, du bist um 18:00 da.“ Da kann der andere immer noch eine andere Wahrnehmung haben: „Das hab ich nie gesagt!“. Also schwierig ist für mich beim ersten Schritt, wirklich offen zu bleiben, dass es für den anderen völlig anders sein kann.

2. Schritt: Gefühl

Ich finde, das Schwierige bei den Gefühlen ist, bei Wut und Ärger zu schauen, was dahintersteckt. Oft liegt da Hilflosigkeit, Verzweiflung oder Angst zugrunde und weil wir diese nicht spüren wollen, decken wir sie mit Urteilen ab, was falsch und was richtig ist usw. und werden dann wütend. Es ist aus meiner Sicht sehr schwer, die eigentlichen Gefühle aufzudecken, zuzulassen und zu spüren, weil es vielen Angst macht.

3. Schritt: Bedürfnisse

Dabei ist aus meiner Sicht schwer, uns die Zeit zu nehmen, wirklich zu spüren, um was es uns gerade geht.

4. Schritt: Bitte

An der Bitte ist das Schwierigste die Kreativität, die es braucht, um Bitten zu finden, die die Bedürfnisse aller berücksichtigen.

Und was würdest du sagen, ist grundsätzlich das Schwierigste an der Umsetzung der GFK?

Hm. Vielleicht, dass wir uns selbst so hohe Ansprüche stellen, denen wir mit unseren Fähigkeiten oft gar nicht gerecht werden können. Wir wollen gewaltfrei mit anderen reden und haben einfach die Erfahrung noch nicht. Dann sind wir frustriert oder enttäuscht, wenn es uns nicht gelingt und werten uns möglicherweise sogar dafür ab.

Was kann ich tun, wenn ich nicht nach meinen Werten gehandelt habe und ich mich dafür verurteile?

Die Antwort und vieles mehr gibt’s im dritten Teil:

Wichtige Erkenntnisse, intensive Erlebnisse und GFK mit Kindern – ein Interview mit Tassilo Peters (3)

Dies ist der dritte Teil des Interviews. Wenn du den ersten und den zweiten Teil noch nicht gelesen hast, klicke hier.

Was kann ich tun, wenn ich nicht nach meinen Werten gehandelt habe und ich mich dafür verurteile?

Wenn ich mich selbst abwerte, kann ich das auch gleich genießen! Ich sage mir dann: „Ich entscheide mich jetzt für Selbstabwertung. Das mache ich jetzt so lange, wie es mir Spaß macht.“

Das Wesentliche ist, mir klarzumachen, dass es sich dabei um eine freie Entscheidung, eine „freiwillige Dienstleistung“ handelt und ich auch wählen kann, anders zu denken. Wenn es mir reicht mit der Selbstabwertung, kann ich mich für was anderes entscheiden, zum Beispiel zu schauen, wie ich mich nächstes Mal anders verhalten wollen würde, worum es mir oder dem anderen ging und wie das anders umsetzbar gewesen wäre.

Ich hab den Eindruck, dass oft bei der „Selbstwolfung“ (= Selbstabwertung) gerade darum geht, sich wehzutun. Nach dem Motto: „Das ist meine Strafe, ich verdiene es nicht anders, es soll mir schlecht gehen.“ Wie würdest du Menschen raten, damit umzugehen?

Ich würde fragen: „Wer hat was davon, dass es mir nicht gut geht?“ Wenn der andere wirklich etwas davon hat – was aus meiner Sicht nie der Fall ist – dann ist es doch okay. Wenn aber einfach niemand was davon hat und es keinen Sinn hat, sich selbst abzuwerten, wozu dann dabei bleiben?

Wenn der andere mir die Schuld geben mag und ich nehme die Schuld reumütig an, dann kann das im ersten Moment eine Genugtuung für den anderen sein. Aber absolut gesehen hat keiner was davon, weil dadurch keine tiefe Verbindung entstehen kann.

Wichtig ist, sich klarzumachen: Was bringt es und was will ich? Es ist eine freiwillige Entscheidung, mich abzuwerten und es gibt auch andere Wege.

OK! Wir sind fast am Ende: Jetzt hast du noch die Chance, Eltern drei wesentliche Erkenntnisse mit auf den Weg zu geben! Go!

Erstens: Das hab ich ja schon genannt: Die radikale Eigenverantwortung.

Zweitens: Alles ist verhandelbar! Löse dich von deinen Fixierungen.

Es gibt nichts, das „gar nicht geht.“ Zum Beispiel im Kindergarten: „Schlagen geht gar nicht!“ – das stimmt nicht, die Kinder beweisen uns doch tagtäglich, dass Schlagen geht! Die Frage ist, was steckt dahinter? Schlagen ist extrem schnell begreifbar, es ist eine universelle Sprache. Und die Kinder wollen damit ja irgendwas bewirken – ihre Ruhe haben, ihre Autonomie schützen, was auch immer. Ich mag die Strategie vielleicht nicht, aber es von Haus aus zum Tabu zu machen, finde ich unsinnig. Schlagen ist nicht einmal per se eine Strategie, die ich ablehnen würde. Wenn ein Kind entführt wird, will ich, dass es mit aller Kraft um sich schlägt.
Mir geht es darum, klarzumachen, dass wir das Leben selbst gestalten und die Kinder nicht in eine Form pressen wollen.

„Unsere Kinder sind kein weißes Blatt Papier, was wir mit dem richtigen Text vollschreiben müssen, sondern komplexe Galaxien, die wir jeden Tag mehr und mehr erforschen dürfen, ohne sie jemals ganz zu verstehen. Wenn wir heute einen kleinen Teil verstanden haben, dürfen wir morgen neugierig sein, ob es sich noch genauso verhält wie gestern.“ (Tassilo Peters in seinem Blogartikel „Erste Hilfe für Eltern!“)

Kinder sind Menschen mit Gefühlen und Bedürfnissen und solange die Eltern Fixierungen haben, schaffen sie Tabuthemen. Wenn man über alles verhandeln kann, dann gibt es sicherlich eine Lösung, die für alle okay ist und wir kommen mindestens in Verbindung. Wenn nicht, verstehen wir die Bedürfnisse des Kindes nicht oder ignorieren sie und drücken ihnen unseren Willen auf. Das bringt das Kind in eine riesige Hilflosigkeit.

Heißt das, ich muss meine Werte dann aufweichen und immer einen Mittelweg finden?

Wenn ich sage, dass man über alles reden, über alles verhandeln kann, heißt das NICHT, dass das Kind alles kriegt oder machen kann, was es will! Auf keinen Fall werde ich einer Strategie zustimmen, die für mich nicht okay ist!

Aber ich nutze die Möglichkeit, wirklich mitzugestalten und meine Werte einzubringen, wenn ich mit meinem Kind darüber spreche.  

Was wäre die dritte Sache, die du Eltern mitgeben würdest?

Ach, es gibt so vieles. Zeig dich verletzlich, sei erwartungsfrei, mach dich zum Affen, also lasse dich auf Kinderstrategien ein …

Aber was mir glaube ich noch wichtiger ist: Scheitere vorbildlich.
Das heißt, dass Eltern ein Vorbild darin werden, zugeben zu können, wenn sie nicht nach ihren Werten gehandelt haben.

Wenn ich ausgerastet bin, dann kann ich danach zu  meinem Kind hingehen und das aufräumen: „Vorhin hab ich dich angeschrien und das war nicht ok von mir, das wollte ich nicht. Ich mag, dass wir alle liebevoll miteinander umgehen. In dem Moment hab ich einfach keinen anderen Weg gesehen und das bedauere ich echt.“

Das Gefühl sagt dem Kind sowieso, dass es nicht okay war, was da passiert ist. Wenn Eltern jetzt versuchen, das zu rechtfertigen, totzuschweigen oder kleinzureden, dann traut das Kind irgendwann seinem Gefühl nicht mehr oder denkt, es sei okay, so mit anderen umzugehen. Es verliert Vertrauen und Verbindung zu uns. Wenn wir aber aufräumen und klarmachen, dass wir es selbst bedauern, dann lernt das Kind, wie es mit eigenen „Fehlern“ zukünftig sinnvoll und konstruktiv umgehen kann.

Cool, danke dir! Hast du jetzt zum Abschluss noch einen GFK-Witz für mich?

Ich liebe den Comic von Sven Hartenstein zum Thema Bedürfnisse. Bitte füge ihn hier ein, er wirkt mit Bild einfach besser!

Quelle: https://anvc.svenhartenstein.de/de/1/
Sven Hartenstein

Wenn du jetzt mehr über Tassilo Peters erfahren möchtest, kommst du hier auf seine Website. Tassilo bietet auch ein 1,5-stündiges Onlinetraining „Einführung in die Gewaltfreie Kommunikation“ an, an dem du von zuhause aus kostenlos teilnehmen kannst! Hier kannst du dich dafür anmelden.

Und hier noch mein absolutes Tassilo-Lieblingsbild!

Tassilo mit Sohn Jannis
Das Bild wurde mir zur Verfügung gestellt

Danke, Tassilo, für das aufschlussreiche und lustige Interview! War mir eine Freude! 🙂

Die wichtigsten Erkenntnisse, intensive Erlebnisse und GFK mit Kindern – ein Interview mit Tassilo Peters

Tassilo Peters ist Trainer für Gewaltfreie Kommunikation, Vater von drei Jungs, Diplomsozialpädagoge, Mitbegründer eines Waldkindergartens und … Meister im vorbildlichen Scheitern! Er sagt selbst, wie oft er „auf die Schnauze gefallen“ ist und wie viel er daraus gelernt hat. Im Laufe seines Lebens hat er einige Erfahrungen gesammelt, wie GFK vor allem im Umgang mit Kindern umsetzbar ist.

Heute hat er sich zu einem Interview mit mir bereiterklärt, in dem er mir von seinen Erfahrungen, Erkenntnissen und Sichtweisen der GFK berichtet.

Suki Klohn im Interview mit …
… GFK-Trainer Tassilo Peters

Hallo Tassilo! Lass uns gleich anfangen, ich weiß, du hast einen engen Zeitplan! Kannst du in einem Satz zusammenfassen, was GFK ist?

GFK ist eine Möglichkeit, um sensationell tiefe Verbindungen zu gestalten!

OK! Und wie lange beschäftigst du dich schon mit GFK?

Seit 2009 ungefähr. Also so 10 Jahre.

Gibt es für dich auch nach 10 Jahren noch Situationen, in denen dir GFK besonders schwerfällt?

Ja, wenn ich zum Beispiel hungrig oder müde bin, wenn ich in Notsituationen stecke wie bei Unfällen oder echter Gefahr. Dann fällt mir manchmal sehr schwer, Empathie zu geben oder mir auch nur klar darüber zu sein, was gerade wirklich passiert. Es kommt immer mal wieder vor, dass mein Wolf mit mir durchgeht!

Gibt es da auch spezielle Menschen, mit denen GFK besonders schwierig für dich ist? Ohne jetzt Namen zu nennen 😉

(lacht) Also vielleicht sicherheitshalber ganz allgemein: Mit Menschen, die einem am nächsten stehen, fällt GFK in der Regel besonders schwer, weil gewisse Beziehungsmuster den Zugang zum GFK-Wissen verhindern. In engen Beziehungen sind wir sehr schnell getriggert. Getriggert bedeutet, in unserem Gehirn wird ein alter Schmerz oder eine alte Angst aktiviert und wir reagieren dann aus Schutz davor mit einer der drei ursprünglichen Verhaltensweisen: Kampf, Flucht oder Totstellen. Diese Aktivierung behindert das klare Denken und steht oftmals nicht in Einklang mit unseren Werten. Das passiert vor allem mit nahestehenden Personen häufiger.

Wie kann man dem entgegenhandeln? Reicht da ein Bewusstmachen in der Situation?

Nein. Ich würde sagen, das ist ein längerer Prozess, weil wir unser Gehirn dafür dauerhaft umprogrammieren müssen. Es braucht ein wiederholtes, bewusstes Gegensteuern, das dem Gehirn immer wieder klarmacht, dass die Situation keine Gefahr mehr darstellt. Es ist ähnlich wie in der Traumatherapie. Vereinfacht gesagt wird durch Reden und Neubewertung dem Gehirn immer wieder klargemacht, dass heute nicht mehr die große Gefahr besteht wie damals, damit banale Auslöser einen irgendwann nicht mehr in diese starke Angst versetzen. Es ist also wichtig, sich mit seinen eigenen Triggerthemen zu beschäftigen, um dann entspannter damit umgehen zu können, wenn sie aktiviert werden.

Da muss ich mich ja richtig mit mir selbst auseinandersetzen! Klingt, als wäre GFK lernen anstrengend! Geht es denn nicht einfacher? Die vier Schritte befolgen und fertig? 😉

Ich fürchte nicht! Wenn wir uns wirklich ändern wollen, ist es immer erst mal schmerzhaft zu erkennen, was wir alles noch nicht so gut können.
Nur die Sprache zu ändern, würde relativ wenig bringen, wenn wir noch immer in unseren alten Mustern denken. Das wäre wie ein marodes Haus einfach schön anzustreichen. Bringt nix, innen ist es noch immer schimmlig und morsch! Wenn wir wirklich dauerhaft darin leben wollen – übertragen auf GFK also mehr Liebe und Leichtigkeit in unser Leben bringen wollen – dann ist manchmal eine Kernsanierung notwendig. Dabei wird es auch immer wieder Aufs und Abs geben und manches fällt uns vielleicht leichter, manches schwerer. Das Schöne ist, dass ja nicht erst ein perfektes Haus beziehbar ist. Wir können uns an jedem weiteren Detail, das hinzukommt, erfreuen und feiern! Das empfehle ich sowieso: ganz viel feiern, um sich zu motivieren und dranzubleiben! Wir sind nicht perfekt, hey, aber wir bemühen uns stetig, mehr nach unseren Werten zu leben!

Du bist ja vor allem Trainer für Eltern und PädagogInnen. Macht das einen Unterschied? Also ist GFK mit Kindern denn grundsätzlich anders als mit Erwachsenen?

Ja, auf jeden Fall! Es ist ein großer Unterschied.

Kinder brauchen…

Mehr gibt’s in Teil 2:

Fridays For Future – wirksamer sein durch Gewaltfreie Kommunikation! [1]

„Gewaltfrei? Wie soll das dem Klima wirksamer nützen? Wenn wir freundlich sind, hört uns doch gar keiner zu!“

Vielleicht denkst du beim Lesen des Titels so etwas oder so was Ähnliches. Du bist vielleicht besorgt, weil du vermutest, dass es eine gewisse Aggressivität braucht, um gehört zu werden? Du hast – wie vermutlich die meisten der FFF-Bewegung – die tiefe Sehnsucht danach, wirklich wirksam zu sein, mit deiner Stimme gehört und ernst genommen zu werden und beizutragen zu einer sichereren, friedlicheren und faireren Zukunft?

Ich teile diese Sehnsucht mit dir und möchte dir in diesem Artikel erklären, wie du – mindestens im persönlichen Kontakt – deine Wirksamkeit durch Gewaltfreie Kommunikation (GFK) erhöhen kannst.

Gegen FFF

Zunächst möchte ich dir einen Ausschnitt aus einem Text zeigen, der sehr stark gegen FFF argumentiert:

Ich lade dich ein: Spüre mal in deinen Körper, was dieser Text mit dir macht. Was für Gedanken und Gefühle kommen da auf? Nimm es ernst, pausiere mal kurz und schau, wie der Text auf dich wirkt.

Als ich den Text gelesen habe, der noch sehr viel länger ist als dieser Ausschnitt und nicht weniger heftig wird in seiner Aussage, hat mein Herz angefangen, wie wild zu pumpen. Ich habe eine Hitze in mir aufwallen gespürt, mein Körper wurde hibbelig und ich hatte plötzlich ganz viel Energie in mir. Energie, mich zu wehren, Energie, die Argumente und die „absolut dämliche, polemische und von kompletter Ahnungslosigkeit geprägte“ Meinung des Autors oder der Autorin zu zerstören. Ich war kampfbereit und voller Wut. Ich schüttelte den Kopf und dachte solche Dinge wie „Wie blöd kann jemand sein?! Das kann doch keiner ernst meinen … Wie viel Hass und Verbitterung muss dieser Mensch in sich tragen!“ usw.

Ging es dir ähnlich? Hast du Abwehrreaktionen gespürt? Was für Urteile kommen in dir auf?

Ehe wir uns ansehen, wozu diese Übung dient, möchte ich mich damit beschäftigen, wie solche Gegenstimmen entstehen könnten.  

Wie entstehen abwertende Argumente gegen FFF?

Ich bin der Ansicht, dass dahinter ein Denken steht, das auf Richtig und Falsch, Schuld und Scham, Recht und Unrecht basiert, in dem viele Menschen feststecken. Es wird von einem aggressiven Gegeneinander ausgegangen. Menschen sehen bei den FFF-Demos nicht den Versuch, für unser aller Zukunft zu kämpfen, sondern die Suche nach dem Schuldigen und einen direkten Angriff gegen ihr Leben, ihr Tun, ihre Entscheidungen. Sie hören: „Ihr Erwachsenen seid falsch! Ihr habt es verkackt! Wir machen es richtig und müssen jetzt eure Fehler ausbaden!“

Sicherlich ist die Art, wie Greta Thunberg manche Dinge formuliert, ein Grund für die angespannte Atmosphäre. Um nur einen Satz zu nennen, der aus meiner Sicht den Ton mancher ihrer Reden widerspiegelt: „Ihr seid nicht erwachsen genug, um zu sagen, wie es ist. Sogar diese Last bürdet ihr uns Kindern auf.“ – etwas, das schwerlich nicht als Angriff verstanden werden kann. Ein anderer Grund ist vielleicht, dass sich manche Demonstrationssprüche an Autofahrer richten – zu denen die meisten Erwachsenen in Deutschland gehören. Oder dass sich viele Menschen von Rufen wie „Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr uns die Zukunft klaut!“ angesprochen und angeklagt fühlen. Plakate, Demorufe, Blockaden, Ausdrucksweisen in Reden, alles davon kann dazu führen, dass Menschen sich schnell angegriffen erleben. 

Ich möchte eins klarstellen: Ich mache weder den Demonstrierenden noch Greta Thunberg irgendeinen Vorwurf. Ich verstehe die Not und die Intention dahinter und bewundere das Engagement und die Vision, die dahintersteht. Es geht hier also nicht darum, herauszufinden, wer „angefangen“ hat, wer etwas „falsch macht“ oder wer „schuld“ ist. Es geht um einen Versuch zu verstehen, wieso die Fronten verhärtet sind und wie du beitragen kannst, dass es wieder mehr ins Miteinander geht. Warum das dringend notwendig ist, um wirksamer zu sein, erkläre ich dir gleich.

Wir können also zusammenfassen: manche Menschen erleben sich – aus welchen Gründen auch immer – von den FFF-Aktionen angegriffen.

Was passiert bei dem Gedanken, angegriffen zu werden?

Wenn das Gehirn etwas als „Angriff“ registriert, reagiert das Unterbewusstsein schneller als das Bewusstsein. Es gibt verschiedene instinktive Reaktionsmöglichkeiten: Kampf, Flucht oder Totstellen (Lähmung). Die, von denen solche Posts erscheinen oder die wütend am Straßenrand stehen und die Demonstrierenden anschreien, reagieren mit „Kampf“.

Viele Menschen, die an das Schuld- und Richtig-Falsch-Denken gewöhnt sind, sehen nur zwei Möglichkeiten:
„Die Jugendlichen haben recht, dann bin ich schlecht und falsch!“ – in dieser Möglichkeit sind Scham und Schuldgefühle vorprogrammiert.
oder
„Die Jugendlichen haben unrecht, also haben sie auch kein Recht, mich anzugreifen! Sie verhalten sich falsch und sollten sich schämen!“ – wählen sie diese Variante, werden sie wahrscheinlich wütend oder zornig.

Da sich die meisten Menschen sehr ungern schuldig fühlen, werden sie sich dagegen wehren, „angegriffen“ zu werden. Wer ist schon gerne falsch? Und wenn es nur zwei Möglichkeiten gibt, ist der logische Schluss aus „Ich bin nicht falsch“, dass die anderen falsch sein müssen. Und wenn Gedanken auftauchen, was an anderen falsch ist, werden Menschen sehr schnell wütend.

Stell dir mal vor, du hast mit jemandem Streit, ihr beide seid gegensätzlicher Meinung und du hörst einen persönlichen Angriff. Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass du eingestehst, dass das Anliegen deines Gegenübers vernünftig ist? Und wie gerne möchtest du dann freiwillig auf ihn zugehen und mit ihm kooperieren? Wie wahrscheinlich ist es, dass du ihn unterstützt, ihm zustimmst, ihn bestärkst?
Ist es nicht viel wahrscheinlicher, dass du dich mit allen Mitteln wehren wirst?

Wer wütend ist, grenzt sich ab und will nicht kooperieren. Er sieht keine Kooperation, sondern ein Gegeneinander. Ein Ich vs. ein Du oder ein Wir vs. die anderen. Dann sind zwei gegeneinander gestellte Seiten entstanden und man hat sich für eine entschieden.

Ein ewiger Kreislauf des Gegeneinanders

Erinnere dich, wie es dir ging, also du den Text gelesen hast. Warst du wütend? Hast auch du einen Angriff gehört und bist direkt in den Kampfmodus gewechselt? Hattest du Gedanken, was an der Person, die das geschrieben hat, alles falsch ist?
Bei mir war es so.

Das heißt, solche oder ähnliche Posts, Rufe oder Meinungen von KritikerInnen empfinden einige FFF-AktivistInnen dann wiederum als Anklagen, Angriffe, Schuldzuweisung und reagieren mit Gegenangriff. So entsteht ein Kreislauf des Gegeneinanders (– wer angefangen hat, spielt übrigens dabei keine Rolle, es geht ums Verstehen und Durchbrechen!).

Jeder sieht sich im Recht, es werden scheinbare Argumente hin- und hergeworfen, die von der anderen Seite nur weggewischt werden. „Die haben keine Ahnung!“ ist auf beiden Seiten die Einstellung, mit der sie in die Diskussion gehen. Es geht um Recht haben, gewinnen, nicht schuldig sein und dem anderen klarmachen, dass er falsch liegt.

Besonders dramatisch an der ganzen Sache ist Folgendes: Wir haben eine Diskussionskultur, in der es häufig verpönt ist, über die Gefühle und die Dynamiken zwischen den Argumentierenden zu sprechen – alles soll auf sachlicher Ebene stattfinden. So verwenden die diskutierenden Parteien scheinbare Sachargumente, aber die Diskussion ist schon alles andere als sachlich. Hat der andere überzeugendere Argumente, werden notfalls Scheinargumente, Diffamierungen und Stigmatisierungen hinzugeholt oder persönliche „Fehler“ genutzt, um den anderen in seiner Glaubwürdigkeit zu untergraben – bloß nicht verlieren!

Wenn wir in einer solchen Situation feststecken, ist es vollkommen egal, welche Argumente gebracht werden. Niemand ist mehr offen für die Seite des anderen, denn ein Ändern der eigenen Meinung, ein Zugeständnis oder Einverständnis mit der Meinung des anderen wird dann als Niederlage betrachtet. Es geht nicht mehr um die Sache, sondern darum, den „Kampf zu gewinnen“ – nach dem Motto „Hart bleiben, denn sobald ich Schwäche zeige, werde ich zerfleischt!“.

In einer solchen Diskussionsatmosphäre ist es absolut unmöglich, andere wirklich zu überzeugen. Auch im Nachhinein wäre dieses scheinbare Richtig und Falsch so deutlich zu spüren, dass ein Zugeständnis unmöglich scheint, ohne sich selbst als falsch anzuerkennen. Schuld, Scham und Schmerz sind dabei die unerwünschten Nebenwirkungen, die Menschen gerne zu meiden versuchen. So verhärten sich die Fronten und es wird unterbewusst überlebensnotwendig, die eigene Stellung zu halten – da sonst die Gefahr besteht, dass der andere über einen herfällt.  

Wenn wir weiter eine auf Gegeneinander basierende Diskussionskultur pflegen, werden wir immer weiter dazu beitragen, dass sich die Fronten verhärten und es anderen noch schwerer machen, ihre Position zu überdenken, zu wechseln oder zu widerrufen. Wir drängen unsere „GegnerInnen“ also mit vehementen Argumenten in eine immer stärkere Gegenposition.

Aus meiner Sicht ist es dringend notwendig, dass ein Miteinander entsteht. Eine Diskussionskultur, in der Offenheit und gegenseitiges Verständnis herrschen. Damit die Chance eröffnet wird, die eigenen Position gefahrlos zu verändern. Damit eine echte Verständigung, ein echtes Verständnis von beiden Seiten erreicht werden kann – ohne Angst vor Gesichtsverlust, Beschämung, Schuldzuweisungen und Selbstgeißelung.

Wie kann dieser Kreislauf durchbrochen werden?

Ich habe schon mehrfach erlebt, wie auf dieselbe Art dieser Kreislauf durchbrochen werden und wieder ein Miteinander entstehen kann, in dem Menschen offen für Argumente und meine Meinung sind. Wie genau ich das gemacht hab und was du tun kannst, erfährst du im zweiten Teil des Blogartikels: