Wichtige Erkenntnisse, intensive Erlebnisse und GFK mit Kindern – ein Interview mit Tassilo Peters (2)

Dies ist der zweite Teil des Interviews. Wenn du den ersten Teil noch nicht gelesen hast, klicke hier.

Du bist ja vor allem Trainer für Eltern und PädagogInnen. Macht das einen Unterschied? Also ist GFK mit Kindern denn grundsätzlich anders als mit Erwachsenen?

Ja, auf jeden Fall! Es ist ein großer Unterschied.

Kinder brauchen einen niederschwelligen Zugang zu GFK und sind mit manchen Situationen überfordert. Es ist zum Beispiel wichtig zu schauen, welche Gefühle ich dem Kind zumute. Ich kann einem Erwachsenen zumuten, ihm zu sagen, dass ich richtig sauer bin, aber bei Kindern ist das schwieriger. Sie fühlen sich schnell schuldig und haben dann einen starken Schutzreflex. Es ist angenehmer, wenn ich meine Gefühle etwas abschwäche, zum Beispiel indem ich sage: „Ich bin unzufrieden und mag einen Weg finden, der für uns beide passt.“ Manche Gefühle eines Erwachsenen sind für Kinder zu stark, um sie ihnen zuzumuten.

Es braucht außerdem bei Kindern viel weniger Worte, denn sie haben eine niedrigere Aufmerksamkeitsspanne – umso jünger desto kürzer! Kleine Kinder brauchen keine langatmigen Argumentationen oder Erklärungen, im Gegenteil, sie können gar nicht so lange folgen, wie manche Eltern erklären.

Tassilo Peters hat gerade für den Umgang mit Kindern ein einfaches und effektives Hilfsmittel geschaffen, das Eltern und PädagogInnen Gewaltfreie Kommunikation extrem erleichtert: den Friedensstock. Hier erfährst du mehr darüber.

Ein weiterer Unterschied ist für mich, dass bei Erwachsenen beide 50% zur Beziehung beitragen. Bei Kindern tragen die Eltern aus meiner Sicht 100% Verantwortung für die Beziehung. Ich kann mich grundsätzlich immer fragen: was habe ich dazu beigetragen, dass das Kind dies oder jenes tut oder keine Lust auf Kooperation hat.

Bis wie viel Jahre haben Eltern aus deiner Sicht mehr Verantwortung für die Beziehung als ihr Kind?

Ich würde sagen, dass Eltern grundsätzlich mehr Verantwortung für die Beziehung haben als das Kind – egal in welchem Alter. Es ist natürlich gesehen so, dass die Kinder einfach den Wunsch haben, sich an die Eltern anzulehnen. Das ist leider im Alltag oft nicht so – viele sind weiter als ihre Eltern und übernehmen mehr Verantwortung für die Beziehung. Natürlicherweise wäre aber die Verantwortung der Eltern für die Beziehung aus meiner Sicht höher.

Spannend! Diese Frage ist vielleicht jetzt etwas schwieriger: Was sind aus deiner Sicht die 3 wichtigsten Erkenntnisse, die du durch die GFK gewonnen hast?

Das ist gar nicht schwierig! Die wichtigste Erkenntnis ist: Radikale Selbstverantwortung. Die wichtigsten drei Punkte sind für mich dabei:

1. Ich bin verantwortlich für meine Gefühle.
2. Ich bin verantwortlich für meine Gedanken.
3. Ich bin verantwortlich für meine Bedürfnisse.

Das ging schnell! Vielleicht ist das schwieriger: Was war eins deiner intensivsten Erlebnisse mit GFK?

(Denkt lange nach) Ja, das ist schwieriger, es gibt viele krasse Erlebnisse.

Ich erzähl dir von einer Situation mit einer ehemaligen Partnerin von mir. Wir hatten einen Konflikt und sie war unendlich verletzt und wütend und hat Sätze gesagt wie „Ich schmeiß dich raus! Ich will dich nie mehr wieder sehen! Geh weg von mir!“ und Ähnliches.

Oh, wie hast du reagiert?

Ich habe ihr immer wieder gesagt „Ich sehe dich und du bist mir wichtig! Es kommt an, dass du total verletzt bist und dass du große Angst vor dem Schmerz hast.“ Ich habe eine halbe Stunde lang insistiert und bin nicht weggegangen. Ich hab hartnäckig Empathie und Wertschätzung gegeben und ihr gesagt, dass sie mir wirklich wichtig ist. Das Ganze dann gemischt mit Resonanz wie „Ich bedauere mein Verhalten und dass ich nicht so für dich da war …“

Nach etwa einer halben Stunde war die Widerstandsenergie aufgebraucht und die Verbindung war wieder möglich. Dann haben wir uns ungefähr fünf Minuten lang im Arm gehalten und eine ganz tiefe Verbindung miteinander erlebt. Meine Hartnäckigkeit hat dabei geholfen, dass sie wieder Vertrauen fassen und sich auf die Verbindung einlassen konnte.

Wow! Wie schwer war es, in dem Moment in der empathischen Haltung zu bleiben?

Ich hab mich vorab intensiv darauf eingestellt, dass das so kommen kann und mich entschieden, dass ich dableiben werde. Die Fähigkeiten dafür zu erlangen, in dieser Klarheit zu bleiben und mich nicht triggern zu lassen, hat ungefähr 3-5 Jahre intensive Auseinandersetzung gebraucht.

Ich möchte jetzt gerne auf die vier Schritte der GFK eingehen. Was ist das jeweils Schwierigste für dich an den einzelnen Schritten?

1. Schritt: Wahrnehmung

Mir immer wieder wirklich klarzumachen, dass ich stetig nur aus meiner Perspektive schaue und dass ich Vermutungen oder Interpretationen habe, die keine Wahrheit oder Gewissheit sind. Und die Klarheit, dass auch meine ganz simple Wahrnehmung eine andere sein kann die des anderen. Zum Beispiel: „Ich habe klar gehört, dass du gesagt hast, du bist um 18:00 da.“ Da kann der andere immer noch eine andere Wahrnehmung haben: „Das hab ich nie gesagt!“. Also schwierig ist für mich beim ersten Schritt, wirklich offen zu bleiben, dass es für den anderen völlig anders sein kann.

2. Schritt: Gefühl

Ich finde, das Schwierige bei den Gefühlen ist, bei Wut und Ärger zu schauen, was dahintersteckt. Oft liegt da Hilflosigkeit, Verzweiflung oder Angst zugrunde und weil wir diese nicht spüren wollen, decken wir sie mit Urteilen ab, was falsch und was richtig ist usw. und werden dann wütend. Es ist aus meiner Sicht sehr schwer, die eigentlichen Gefühle aufzudecken, zuzulassen und zu spüren, weil es vielen Angst macht.

3. Schritt: Bedürfnisse

Dabei ist aus meiner Sicht schwer, uns die Zeit zu nehmen, wirklich zu spüren, um was es uns gerade geht.

4. Schritt: Bitte

An der Bitte ist das Schwierigste die Kreativität, die es braucht, um Bitten zu finden, die die Bedürfnisse aller berücksichtigen.

Und was würdest du sagen, ist grundsätzlich das Schwierigste an der Umsetzung der GFK?

Hm. Vielleicht, dass wir uns selbst so hohe Ansprüche stellen, denen wir mit unseren Fähigkeiten oft gar nicht gerecht werden können. Wir wollen gewaltfrei mit anderen reden und haben einfach die Erfahrung noch nicht. Dann sind wir frustriert oder enttäuscht, wenn es uns nicht gelingt und werten uns möglicherweise sogar dafür ab.

Was kann ich tun, wenn ich nicht nach meinen Werten gehandelt habe und ich mich dafür verurteile?

Die Antwort und vieles mehr gibt’s im dritten Teil: