Folge 23: Die heilende Wirkung von Empathie – auf beiden Seiten

Empathie, wie sie die GFK versteht und wie du sie nun in den letzten beiden Folgen näher kennengerlent hast, kenne ich aus meiner Kindheit und Jugendzeit kaum. Erst, als ich mich mehr und mehr mit GFK beschäftigt habe, traten immer mehr Menschen in mein Leben, die in der Lage waren, mir diese Form der Empathie entgegenzubringen. Dabei habe ich festgestellt, welche unglaubliche Kraft und Heilung sich entfalten, wenn uns echte Empathie entgegengebracht wird. Dazu möchte ich dir eine persönliche Geschichte aus meinem Leben erzählen, die meine intensivste Erfahrung mit Empathie beinhaltet.

Der Beginn der Heilung: Eine meiner intensivsten Erfahrungen mit Empathie

2018 war für mich ein schweres Jahr und im Sommer habe ich besonders stark gelitten. Meine Depressionen, von denen ich gehofft hatte, dass ich sie einigermaßen überstanden hatte, hatten einen erneuten Höhe- bzw. Tiefpunkt erreicht und es gab einen Zwischenfall, in dem ich jemanden, der mir wichtig geworden war, verlor, und der die letzte Lebensfreude mit sich nahm, als er ging. Ich dachte, ich könnte nie wieder lachen – Schuldgefühle, Ängste, Sorgen, Schmerz und Verzweiflung drohten, mich aufzufressen. Freunde, Familie und Therapie konnten mir nicht helfen. Ich war kurz davor, mich für eine stationäre Klinik anzumelden und selbst das gab mir wenig Hoffnung.

Damals war ich bereits regelmäßig in einer Gruppe von GFK-lern, die sich privat trafen, um sich gegenseitig bei persönlichen Angelegenheiten zu unterstützen. Ich ging zu einem der Treffen und brachte mein Thema ein – der Schmerz war größer als Scham, Angst und Schuldgefühle, die es mir ausreden wollten, mir Hilfe zu holen.

Zwei oder drei Stunden lang besprach ich mit fünf GFK-lern mein Thema. Zunächst hörten sie mir einfach nur still zu, gaben mir den Raum, ließen mich erzählen. Alle von ihnen sahen mich mit liebevollen, gütigen Augen an, nickten, waren präsent. Sie werteten nicht über mich, meine Erzählung, mein Verhalten, meine Gefühle, sondern stellten dann Vermutungen über meine Gefühle und Bedürfnisse an.

„Bist du verzweifelt, weil du dir so sehnlichst wünschst, geliebt zu sein, wie du bist?“ Solche oder ähnliche Sätze, die den Nagel auf den Kopf trafen, brachten mich aus dem Kopf ins Herz, von meinen Gedanken und Urteilen zu meinen Gefühlen und Bedürfnissen. Ich begann, bitterlich zu weinen, und selbst das wurde nicht bewertet, sondern durfte wie selbstverständlich da sein.

Niemand versuchte, mich zu trösten, oder gab mir zu verstehen, dass meine Gefühle zu viel waren. Ich wurde angenommen, mit allem, was gerade in mir war. Ich hatte weniger Angst davor, meine Gefühlen zu spüren, als üblich, denn hier waren fünf Menschen, die mir zu verstehen gaben, dass meine Gefühle nicht schlimm und willkommen waren und einfach sein und fließen durften und es mit mir „aushielten“.

Nachdem der Sturm in mir einmal Raum bekommen hatte, legte er sich bald und die Gefühle klangen ab. Zurück blieb Leere, ein Schwall an Urteilen über mich selbst und Hilflosigkeit, wie ich nun mit der Situation umgehen sollte. Die Gruppe unterstütze mich durch empathische Vermutungen nun dabei, meine Urteile in Bedürfnisse zu übersetzen und zu verstehen, was mir an der Sache so wichtig war, das mich ich in derartige Verzweiflung gestürzt hatte. Sie halfen mir bei jedem Satz, den ich über mich dachte, vom Kopf und vom Außen ins Herz und in mein Innerstes zu kommen, meine Bedürfnisse und die Schönheit hinter all dem zu sehen.

Nach und nach konnte ich die Situation völlig neu bewerten und verstand meine eigenen Motive – ich empfand also langsam Empathie für mich selbst, ohne mich in mein Leid hineinzusteigern. Meine Gefühle hatten einmal Raum bekommen, wurden gehört, ich wusste, welche Bedürfnisse gerade Aufmerksamkeit brauchten und hatte einen Ausblick, wie ich sie mir erfüllen konnte.

Auf der Heimfahrt von diesem Treffen kehrte die Lebensfreude zu mir zurück und ich fühlte mich um Kilotonnen leichter. Ich konnte die Situation ganz neu bewerten, hatte tiefe Annahme für mein ganzes Ich erfahren und war wieder mehr mit mir selbst verbunden. Ich fühlte mich lebendig, hoffnungsvoll, ja sogar voller Lebensfreude. Ich freute mich, am Leben zu sein und wusste, dass ich für mich sorgen konnte, wo ich vor wenigen Stunden noch gedacht hatte, dass ich nie wieder würde lächeln können.

Danach habe ich nie wieder eine Träne über dieses Thema vergossen, weil das, was es wirklich so schmerzlich gemacht hatte – meine eigenen Gedanken und Urteile – übersetzt und in eine stärkende Kraft verwandelt worden war. Meine Annahme, Empathie für mich und meine Selbstfürsorge schritt daraufhin Woche um Woche voran und es ging mir stetig besser.

Dieses Treffen hat mir eindrücklich gezeigt, welche unglaubliche Macht der Empathie innewohnt.

Wirkung von empathischem Gehörtwerden

Wieso wirkt Empathie auf diese Art und Weise? Wie können 2 oder 3 Stunden empathischen Zuhörens so eine Veränderung in einem Menschen bewirken? Ich möchte dir hier ein paar Ideen aufzeigen, was da in mir passiert ist und weshalb Empathie so viel Wirkung zeigt:

♥ Weniger Angst vor den eigenen Gefühlen
Empathie lindert die Angst vor meinen eigenen Gefühlen und zeigt, dass ich nicht alleine damit bin – dass da jemand ist, dem diese Gefühle keine Angst machen, nicht lästig sind und der sie nicht weghaben will, sondern für den sie völlig okay sind und sein dürfen. Gleichzeitig ist da jemand, der wie ein Fels in der Brandung steht, wenn die Wellen meiner Gefühle über mich hinwegrollen. Dieser Halt unterstützt besonders dabei, sich nicht in den eigenen Gefühlen zu verlieren oder an ihnen festzuhalten, sondern sie wie Wellen durchziehen zu lassen.

♥ Empathie schafft Vertrauen und Sicherheit
Empathie zu erleben, bedeutet für mich ein tiefes Gefühl von Angenommensein mit allem, was in mir ist. Alle Gefühle, Gedanken, Wünsche, Ängste, Sorgen, Zweifel, Hoffnungen und Regungen dürfen sein. Ich werde nicht bewertet, sondern alles, was ist und war, bekommt Raum, um sich zu verwandeln. Das verringert die Angst, nicht okay zu sein, ausgeschlossen oder abgewertet zu werden und schafft Sicherheit und Vertrauen. Oft sind es genau diese Bedürfnisse, um die es im Schmerz ohnehin geht, und wenn ich das dann erfüllt bekomme, wird der Schmerz allein dadurch gelindert.

♥ Empathie bewirkt Wandel
Das Paradoxe ist, dass Empathie bedingungslose Annahme dessen ist, was gerade da ist, und gleichzeitig den meisten Raum dafür gibt, dass Wandel geschehen kann. Meist verändern sich Menschen oder auch Gefühle erst dann, wenn sie wirklich gehört und angenommen wurden. Wenn sie sein dürfen, verwandeln sich starre, lähmende Gefühle wie Angst, Schuld, Scham und Zorn ziemlich schnell in warme, weiche Trauer und schließlich Kraft, für meine Werte zu handeln. Wenn ein Mensch sein darf, wer er ist, ohne dass jemand versucht, irgendwas zu verändern, kann er leichter loslassen und neue Wege suchen:

Was ist, darf sein – und was sein darf, kann sich verändern.

Empathie zu erfahren, kann also tiefgehende, nachhaltige Heilung bewirken oder unterstützen.  

♥ Empathie fördert Klarheit, Stärke und Leichtigkeit
Statt Bewertungen und einer Meinung von außen bekomme ich Unterstützung dabei, mich auf mich zu konzentrieren und zu schauen, was eigentlich wirklich in mir vor sich geht. Empathie unterstützt vor allem dabei, von den Urteilen wegzukommen und stattdessen die eigenen Bedürfnisse zu verstehen, die allem zugrunde liegen. Wenn ich dann verstehe, worum es mir geht, kann ich viel besser entscheiden, was ich möchte und was mir wichtig ist. Auf dieser Basis kann ich selbst neue Wege und Lösungen finden, die für mich passen. Außerdem bewirkt eine gute Verbindung zu mir selbst Kraft, Stärke, Selbstvertrauen und viel mehr Leichtigkeit.

Was bringt mir selbst eine empathische Haltung?

Abgesehen von den vielen positiven Effekten für denjenigen, der Empathie erfährt, und davon, dass Empathie absolut essenziell für das Zusammenleben in einer Gemeinschaft ist, hat Empathie weitere positive Auswirkungen – und zwar für denjenigen, der Empathie empfindet und zeigt:

♥ Selbstempathie stärken
Jedes Mal, wenn ich anderen Menschen empathisch entgegentrete, kultiviere ich eine mitfühlende und gütige Haltung in mir. Ich denke immer mehr in Bedürfnissen anstatt in Urteilen. Dadurch kann ich dann auch immer mehr mir selbst Empathie und Verständnis entgegenbringen, wenn ich nicht so gehandelt habe, wie ich es eigentlich wollte. Empathie für andere kann also Training für Selbstempathie sein und das eigene Wachstum fördern.

♥ Beziehung vertiefen
Empathie für einen Menschen zu empfinden, kann die Beziehung und das Vertrauen zu ihm auf eine viel tiefere Ebene führen. Dadurch sind stärkere, liebevollere und erfüllendere Verbin­dungen zu anderen Menschen möglich.

♥ Bereitschaft erhöhen, gehört zu werden
Oft können Menschen erst dann den Schmerz anderer hören und für sie da sein, wenn sie selbst gehört und angenommen wurden. Wenn ich jemandem empathisch höre und unterstütze, erhöhe ich massiv die Wahrscheinlichkeit, dass derjenige danach mein Anliegen hören und auf mich eingehen kann. Die Kooperations­bereitschaft und die Lust, andere zu unterstützen, steigt immens, wenn Menschen in ihrem Schmerz Raum bekommen und angenommen wurden.

Auch bei Diskussionen erhöht ein zunächst empathisches Zuhören die Wahrscheinlichkeit, dass meine (vielleicht ganz gegensätzliche) Meinung auch Raum bekommt und von meinem Gegenüber gehört, ernst genommen und in Betracht gezogen werden kann. Denk selbst mal dran: Wenn du gerade massiv getriggert bist, kannst du dann gut Argumente von anderen hören? Vermutlich nicht, egal wie überzeugend die Argumente sind, oder? Aber wenn eine gute Beziehung da ist, Raum und Vertrauen, dann ist es viel leichter, andere Meinungen gut zu hören und die eigene zu überdenken.

♥ „Angriffe“ nicht persönlich nehmen
Wenn ich Empathie für jemanden empfinde, sehe ich seine Motive und seinen Schmerz. Wenn jemand auf eine Weise handelt, die mir normalerweise Schmerz zufügen würde (z. B. jemand sagt „Sie sind doch völlig inkompetent!“ und darunter leidet dann mein Selbstwert), kann ich durch Empathie verstehen, dass diese Aussage nichts mit mir zu tun hat, sondern ein Ausdruck des Schmerzes und der Hilflosigkeit ist. Ich kann tief in mir verstehen, dass dieser Mensch gerade keinen besseren Weg weiß, um auszudrücken, was ihm wichtig ist. Dadurch kann ich nicht verletzt werden, denn ich weiß, die Ursache liegt nicht bei mir, sondern in der Person selbst. Mitgefühl schützt also davor, das Verhalten oder die Worte anderer persönlich zu nehmen.

♥ Menschlichkeit und Gemeinsamkeit erkennen
Empathie für jemanden zu entwickeln, kann vor allem dann hilfreich sein, wenn ich über jemanden starke Urteile hege und nicht mit seinem Verhalten einverstanden bin. Denn der Zorn und die Verurteilung macht auf Dauer nicht glücklich, sondern stresst und belastet den eigenen Körper und Geist.

Wenn ich Empathie für jemanden empfinden kann, dessen Handlungen ich schlimm finde, sehe ich kein „arrogantes Ar***loch“, kein „Monster“, keinen „Täter“ mehr, sondern nur noch einen Menschen – oft mitsamt seiner Verletzlichkeit und Hilflosigkeit, die hinter Wut und Aggression stecken.

Diese Menschlichkeit und Verletzlichkeit zu erkennen, gibt mir Kraft und Sicherheit, löst scheinbare Machtgefälle auf und hilft mir, zu verstehen, welche wunderschönen Motive (Bedürfnisse) hinter den Handlungen stehen. Ich stelle Augenhöhe her, da ich erkenne, dass dieser Mensch genau wie ich Bedürfnisse und Gefühle hat und im Inneren gar nicht so viel anders ist als ich oder alle anderen Menschen.

♥ Vergeben und heilen
Auch für Verletzungen, die durch andere entstanden sind, eignet sich Empathie den „TäterInnen“ gegenüber. Denn oft hält der alte Groll und der Hass uns davon ab, wirklich zu heilen und mit alten Themen abzuschließen. „Opfer“ leiden oft noch viele Jahre oder Jahrzehnte unter vergangenen Handlungen und geben damit ihre Macht, über ihre eigene Gegenwart und Zukunft zu bestimmen, an den „Täter“ oder die „Täterin“ in die Vergangenheit ab. Opfer- und TäterInnendenken verhindert, die eigene Macht zu erkennen und zu leben und damit auch ein Stück weit zu heilen.

Empathie ermöglicht Vergebung durch die Auflösung von Feindbildern. Ich lerne zu verstehen, was in dem anderen vor sich ging, als er Schmerz bei mir ausgelöst hat. Das heißt nicht, dass ich seine Handlung gut finde oder es okay war! Es heißt nur, dass ich nachvollziehen und die Menschlichkeit dahinter sehen kann. Tiefes Verstehen und Vergebung kann Annahme des Geschehenen, Akzeptanz und damit tiefe Heilung und Loslassen eigener alter Wunden bewirken.

Das sind nur einige der vielen Effekte, die ich aus meiner Erfahrung heraus mit Empathie verbinde. Wenn du Lust hast, diese Erfahrungen selbst zu machen, lies gerne im nächsten Blogartikel weiter oder probiere es mit dem bereits Erlernten doch mal aus?

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