Jetzt weißt du bereits, was Bitten sind, was sie von Forderungen unterscheidet, wie du in die Haltung der Bitte kommst und welche Kriterien hilfreich bei einer Bitte sind, um die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, dass sie wirksam ist. In diesem letzten Blogartikel zu Bitten möchte ich dir noch ein paar unterschiedliche Arten von Bitten aufzeigen, um dein Repertoire an Möglichkeiten zu erweitern, und dir ein paar Formulierungshilfen, Tipps und Tricks mitgeben, um ehrlich, authentisch und offen rüberzubringen, was du dir wünschst.
Unterschiedliche Arten von Bitten
Die meisten Bitten, die wir stellen, sind Lösungsbitten. Dabei bitten wir konkret um eine Handlung in der nahen oder fernen Zukunft. Mit der GFK hat sich mein Verständnis von Bitten seht stark erweitert und ich habe die anderen Arten von Bitten wirklich schätzen gelernt. Daher möchte ich sie dir hier vorstellen und dir einige Tipps dazu geben, wie du es deinem Gegenüber leichter machst, sie auch als Bitte zu hören.
Beziehungsbitte
Die Beziehungsbitte ist sehr hilfreich für die Haltung der GFK, da es immer um ein hin- und herschwingen zwischen MIR und DIR geht. Beziehungsbitten sind dazu da, um von der Ich-Seite auf die Du-Seite zu kommen.
Das kann so aussehen:
- Wie geht’s dir jetzt mit dem, was ich gesagt habe?
- Wie ist das für dich?
- Was macht das mit dir?
- Magst du mir gerade sagen, wie du dazu stehst?
- Wie geht’s dir jetzt?
- Was meinst du dazu?
Diese Bitte lädt dazu ein, etwas von sich preiszugeben und Verbindung zu stärken. Es wird nicht auf einer Lösungsebene gearbeitet, sondern auf der Beziehungsebene.
Natürlich, bei einfachen Dingen wie „Kannst du mir das Salz reichen?“ ist es oft nicht notwendig, vorher auf die Beziehungsebene zu gehen. Aber bei Konflikten oder eher komplexen Themen, ist es sinnvoll, erst in gegenseitiges Verständnis zu kommen. Wenn wir Lösungen suchen, ehe Verständnis und Verbindung vorhanden ist, ist das Finden von Lösung oft unbefriedigend, schwierig oder gar unmöglich.
Gehen wir zu früh in die Lösungsebene, kann das auch zu unbefriedigenden Kompromissen führen, weil vielleicht gar nicht klar geworden ist, worum es beiden Seiten WIRKLICH geht. Daher lade ich dich ein, die Beziehungsbitte ausgiebig zu nutzen und neugierig zu bleiben für die andere Seite. So können wir aus der Verbindung heraus viel leichter und wahrscheinlicher Lösungen finden, die wirklich für alle zufriedenstellend sind. Wenn beide Seite einander wirklich verstanden haben und in guter Verbindung sind, kommt die Lösung oft von selbst.
Daher lade ich dich ein, die Beziehungsbitte ausgiebig zu nutzen, und offen und neugierig für die andere Seite zu bleiben.
Verständnisbitte
Diese Art der Bitte zielt darauf ab, zu prüfen, ob das, was ich gesagt habe, beim Gegenüber angekommen ist. Ich bitte dabei um Wiedergabe dessen, was die andere Person von mir gehört oder verstanden hat. Damit kann ich sicherstellen, dass meine Bedeutung nicht auf dem Weg und durch die Filter des anderen verloren gegangen ist. Denn:
Zwischen dem was ich denke,
dem, was ich sagen will,
dem, was ich zu sagen glaube,
dem, was ich sage,
dem, was du hören willst,
dem, was du hörst,
dem, was du zu verstehen glaubst,
dem, was du verstehen willst,
und dem, was du verstehst,
gibt es mindestens acht verschiedene Möglichkeiten,
sich nicht zu verstehen.
Verfasser unbekannt
Wenn wir etwas sagen, kann das so leicht anders aufgefasst werden. „Schönes Kleid!“ kann als Kompliment, als Beleidigung, als Scherz, als sexuelle Belästigung oder sachliche Aussage aufgefasst werden. Du kannst Dinge so liebevoll ausdrücken, wie du willst, wenn der andere gerade durch seinen Filter von „Die mag mich nicht und will mir was Böses!“ hört, dann wird er etwas anderes verstehen, als du gesagt oder gemeint hast.
Daher ist es so wichtig, erst einmal zu prüfen, was denn bei deinem Gegenüber angekommen ist. Wenn du weißt, was das Gegenüber gehört hat, kannst du vermutlich die Reaktion besser verstehen und wenn es nicht das ist, was du gemeint hast, bekommst du die Chance, es noch einmal zu versuchen.
Diese Art der Bitte kann aber auch leicht Widerstand auslösen, weil es wie ein „Ausfragen“ in der Schule oder ein Test wirken kann. Dabei hilft es oft, transparent zu machen, warum wir gerade darum bitten und worum es uns dabei wirklich geht. Auch die Verantwortung zu mir zu nehmen, kann das Gegenüber unterstützen, keinen Vorwurf oder Test zu hören.
Einige Beispiele:
- Ich hab gerade ganz viel gesagt und bin unsicher, ob alles angekommen ist. Wärst du bereit, mir zu sagen, was du gehört hast?
- Mir ist die Sache total wichtig und ich mag sichergehen, dass ich mich so ausgedrückt habe, dass alles ankam. Es würde mir sehr helfen, wenn du mir zusammenfasst, was du von mir verstanden hast.
- Kannst du mir wiedergeben, was du von mir gehört hast? Das würde mir total helfen, mit dem Thema abzuschließen.
- Ich brauche gerade Vertrauen, dass ich alles so rübergebracht habe, wie ich es meine. Es wäre hilfreich für mich, wenn du mir wiedergibst, was du mich hast sagen hören. Könntest du das für mich machen?
Anfangs habe ich mir sehr schwer mit dieser Art des Bittens getan. Nach und nach habe ich immer mehr festgestellt, wie wichtig es ist, weil so viel auf dem Weg verloren geht oder missverstanden wird. Außerdem ist es wirklich heilsam und kann das Gespräch und die Verbindung massiv voranbringen, noch einmal von außen zu hören und gespiegelt zu bekommen, was man gesagt hat. Mir tut es immer sehr gut, wenn ich merke, dass ich wirklich in allem, was mir wichtig war, gehört wurde.
Und wenn die Person bereit ist, das zu tun, dann ist es aus meiner Sicht sehr wichtig, erst einmal Wertschätzung zu äußern, auch wenn das Zusammengefasste überhaupt nicht dem entspricht, was ich gesagt habe.
Das kann dann so aussehen:
- Danke, dass du mir gesagt hast, was bei dir ankam. Ich merk jetzt, dass ich einiges noch nicht so rübergebracht habe, wie ich es meinte. Ich versuche es nochmal, OK?
- Vielen Dank, dass du dich darauf eingelassen hast. Dadurch hab ich gemerkt, dass ich noch ein paar Sachen nicht so deutlich gesagt habe, wie ich es gerne getan hätte. Und zwar …
- Hey, danke dir! Ich bin froh und merk jetzt, dass ich einfach sehr viel auf einmal gesagt hab, sodass nicht alles hängenbleiben konnte, was mir wichtig war. Was mir auch noch wichtig war, sind folgende Punkte: …
- Aaah, danke, das hat mir gezeigt, dass ich tatsächlich vieles noch nicht so gesagt habe, wie ich es gerne gehabt hätte. Darf ich es nochmal versuchen?
Wie du siehst, übernehme ich dabei die Verantwortung und sage nicht so etwas wie „Hä?! Das meinte ich gar nicht! Hörst du mir überhaupt zu?!“ oder andere Dinge, die schnell wie Vorwürfe aufgefasst werden und dem anderen sehr wenig Lust machen, mich besser zu verstehen. Mein Gegenüber hat sich darauf eingelassen, worum ich es gebeten habe, und hat sein Bestes gegeben, es mir zusammenzufassen, obwohl er vielleicht gerade sehr mit seinen eigenen Gefühlen beschäftigt ist. Und genau diese Bereitschaft möchte ich zuerst wertschätzen, denn damit hat es mir die Chance gegeben, es nochmals zu versuchen und die Chance zu erhöhen, dass rüberkommt, was mir wichtig ist.
Denk auch bei dieser Bitte an das Prinzip: Wenn jemand nein sagt, steht mindestens ein wesentliches Bedürfnis dagegen. Vielleicht kam eine Forderung an? Vielleicht hat er Angst vor deiner Reaktion, wenn er etwas „falsch“ sagt oder vielleicht hört sie doch eine „Ausfrage“? Offenes Nachfragen kann dabei helfen, es herauszufinden.
Dialogbeispiel:
Ich hab dir jetzt viel von mir preisgegeben. Es würde mir total helfen, von dir nochmal zu hören, was bei dir angekommen ist.
– Ich hab dich schon verstanden.
Hm, du sagst, dass du es verstanden hast. Ich hab echt Sorge, dass du was anderes verstanden hast, als ich meine. Wärst du denn bereit, mir zu sagen, was genau du verstanden hast?
– Das ist doch dämlich. Ich hab dich verstanden!
Du findest das dämlich? Möchtest du einfach, dass ich in deine Fähigkeiten vertraue, das aufzufassen, was ich sage?
– Hä?! Ja, ich bin ja nicht blöd. Ich kann dir schon folgen.
Ah, meine Bitte kommt bei dir so an, als würde ich dich für blöd halten? Erlebst du’s so als Test, ob du richtig zugehört hast?
– Ja, na klar!
Ah okay. Ich kann verstehen, dass es so rüberkommt, gleichzeitig hab ich’s gar nicht so gemeint. Ich würde dir total gerne nochmal sagen, warum mir das so wichtig ist. Passt das für dich?
– Ja, meinetwegen.
Ich hab einfach den Eindruck, dass total schnell in so einem Gespräch was anders rüberkommt, als man es eigentlich meint, ganz unabhängig davon, wie gut jemand zuhört, einfach nur weil wir unterschiedliche Menschen sind. Und ich würde total gerne sichergehen, dass ich die Sachen, die mir wichtig sind, richtig rüberbringen konnte. Und wenn ich höre, dass was anders ankam, sehe ich es total als Chance, mich noch mal zu korrigieren. Daher wäre das für mich total hilfreich, so als Feedback, weißt du?
– Hm, achso. Ja, okay. Ich kann’s ja mal versuchen. Also …
Ich lade dich ein: Sei mutig und probiere es mal aus. Fange vielleicht bei Menschen an, die dafür offen sein könnten, und erzähle ihnen, wenn du magst, auch von den Hintergründen und warum du das ausprobieren möchtest. Es könnte dadurch viel mehr Verständnis und Verbindung zustande kommen, als du erwartest. Und irgendwann ist es vielleicht Gewohnheit und ganz normal, diese Bitte zu stellen.
Bereitschaftsbitte
Bei der Bereitschaftsbitte geht es im Prinzip bereits um eine Lösung. Nur frage ich nicht, ob die Person in der Zukunft dies oder jenes tun wird, sondern ich frage in diesem Moment die Bereitschaft dazu ab. Also statt zu sagen: „Bitte hilf mir morgen beim Einkaufen, okay?“, frage ich: „Wärst du bereit, mir morgen beim Einkaufen zu helfen?“
Der Unterschied besteht darin, dass wir nur für den Moment etwas zusagen können – niemand von uns kann in die Zukunft schauen. Aber wir können entscheiden, ob wir in diesem Moment die Bereitschaft verspüren, etwas zu tun oder nicht.
Dieser kleine Unterschied stärkt aus meiner Sicht die Offenheit, wenn die Person es dann doch nicht tut. Sie hatte in dem Moment die Bereitschaft, aber dann hat sich eben etwas verändert und wir bleiben neugierig und offen für andere Wege. Es ist kein „Vertrag“, den die Person mit ihrem Ja unterschreibt, und bei dem wir dann strafen dürfen, wenn sie es dann doch nicht tut. Es geht also auch hier darum, offen zu bleiben, dass sich immer etwas ändern kann, auch wenn die Person im Moment des Ja-sagens wirklich vorhat, die Bitte zu erfüllen.
Wertschätzungsbitte
Die Wertschätzungsbitte ist für jede Art von kontinuierlicher Beziehung hilfreich und sinnvoll. Wie oft redest du in verschiedenen näheren Beziehungen, zum Beispiel in der Arbeit, im Freundeskreis, aber vor allem mit deinem Partner oder auch dir selbst, über Dinge, die nicht klappen, die du gerne anders hättest oder womit du unzufrieden bist? Wie oft sprichst du über Fehler, Probleme oder Kritik? Und im Vergleich dazu – wie oft äußerst oder erhältst du echte Wertschätzung?
Diese Fragen kann nur jeder für sich beantworten. Ich habe einmal einen Satz gehört, der in mir große Resonanz ausgelöst hat: In starken und nachhaltigen Beziehungen ist das Verhältnis von Kritik und Wertschätzung eins zu fünf. Das heißt, es wird fünf Mal Wertschätzung geäußert für jedes Mal, in dem über etwas gesprochen wird, das nicht so gut läuft oder das man sich anders wünscht. In mir hat dieser Satz eine große Sehnsucht ausgelöst, in Beziehungen viel mehr über das zu reden, was schön ist, anstatt hauptsächlich Probleme anzusprechen.
Ich glaube, dass das in den wenigsten Beziehungen so gelebt wird, aber seit ich darauf achte, merke ich, wie hilfreich es ist, auch diese Dinge zu äußern und zu hören, um nachhaltig genährt zu werden und zufrieden zu sein mit Beziehungen. Wenn du also auch mehr Sehnsucht danach hast, zu hören, was gut gelaufen ist und was andere an dir schätzen, dann lade ich dich ein, mal eine Wertschätzungsbitte zu äußern.
Das kann so aussehen:
- Wir haben jetzt darüber geredet, was du in der Beziehung gerne anders hättest. Jetzt wüsste ich auch total gerne etwas, womit du bereits zufrieden bist. Bist du bereit, mir drei Dinge zu sagen, die du an unserer Beziehung schätzt?
- Nachdem ich jetzt weiß, was ich besser machen kann, würden Sie mir bitte auch sagen, womit Sie an meiner Arbeit bereits zufrieden sind? Das wäre ein gutes Feedback für mich, um auch zu wissen, wo ich bereits Ihre Erwartungen erfülle und es würde mich motivieren.
- Ich hab gerade Lust auf Wertschätzung. Hast du Lust, dich jetzt mit mir hinzusetzen und wir sagen uns abwechselnd Dinge, die wir aneinander mögen?
- Ich bin gerade unsicher durch unseren Konflikt und ich würde total gerne hören, was du an mir schätzt. Magst du mir noch mal deutlich sagen, warum du mit mir befreundet bist und was du gerne an mir magst?
Für viele Menschen mag das beängstigend wirken, sich so zu zeigen. Denk daran, dass es eine Bitte sein sollte und du nicht in der völligen Bedürftigkeit sein solltest, während du darum bittest, da es sonst eine Forderung ist und es sehr wahrscheinlich ist, dass es beim anderen Druck oder Widerstand erzeugt.
Gerade bei dieser Bitte weise ich daher ausdrücklich darauf hin, dass es wichtig ist, in einer offenen Haltung zu sein: Mein Gegenüber ist nicht dafür zuständig, mein Bedürfnis nach Wertschätzung zu erfüllen. Ich lade ihn dazu ein, um ihm die Möglichkeit zu geben, zu meinem Leben beizutragen. Wenn er das gerade nicht möchte (aus welchem Grund auch immer), ist das völlig okay. Ich finde andere Strategien, um gut für mich zu sorgen und meine Wertschätzung zu füllen – zum Beispiel von mir selbst.
Bitten als Bitten rüberbringen
Nun hast du einige verschiedene Bitten sowie einige Formulierungshilfen dafür bekommen. Nun möchte ich dir allgemein noch ein paar Ideen mitgeben machen, wie du noch besser rüberbringen kannst, dass es sich bei deiner Bitte um eine Bitte handelt.
Natürlich ist die Formulierung kein Garant, wie du weißt. Es kommt stark darauf an, in welcher Haltung du bist, was dein Gegenüber von dir gewohnt ist, in welcher Stimmung sie sich befindet usw. Aber die Formulierung kann dir helfen, die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, dass du so gehört wirst, wie du es meinst.
Hier bekommst du noch einmal ein paar Formulierungsvorschläge, wie du Bitten noch deutlicher als Bitten kennzeichnen kannst:
- Ich würde ich total freuen, wenn du mir am Wochenende beim Streichen hilfst. Hast du Lust? Es ist völlig okay, wenn du nein sagst.
- Ich möchte das Gespräch hier beenden und morgen nochmal schauen, ob wir es wieder aufgreifen. Passt das so für dich?
- Ich würde gerne am Wochenende einen Ausflug mit dir machen. Hast du auch Lust? Und bitte sag nur zu, wenn du auch wirklich magst – sonst würde ich mal Tina fragen.
- Wärst du bereit, nach dem Essen mit mir im Internet nach schönen Hotels für unseren Urlaub zu suchen? Wenn du keine Lust hast, ist das auch in Ordnung, dann finden wir einen anderen Tag.
- Passt es für dich, wenn wir jetzt noch 10 Minuten kuscheln, ehe wir losfahren?
- Ich hab gerade die Idee gehabt, dass wir jetzt Musik anmachen und beide 30 Minuten lang jeweils einen Raum so richtig durchputzen. Was hältst du davon?
Dabei möchte ich noch einmal ausdrücklich hinweisen: Verwende diese Formen nur dann, wenn du auch wirklich die Offenheit hast, dass dein Gegenüber ablehnt. Wenn du eine Forderung als Bitte verkleidest, wird die andere Person das sehr wahrscheinlich spüren und das Vertrauen in dich sinkt enorm. Wenn du dann eine echte Bitte stellst, kann es sein, dass die Person nicht darauf vertraut, da sie schon zu oft verkleidete Forderungen erlebt hat.
Ich lade dich ein, wirklich authentisch und ehrlich zu sein, und dir selbst zuzugestehen, wenn du gerade keine Bitte stellen kannst. Wie kann das aussehen?
Was tun, wenn du gerade nicht offen für ein Nein sein kannst?
Natürlich ist es uns nicht immer möglich, eine Bitte zu stellen. Wenn wir gerade diese Offenheit nicht spüren und auch keine Zeit oder keine Kraft haben, unsere Forderung zu hinterfragen und mithilfe der vier Schritte in die Offenheit zu kommen, macht es Sinn, damit transparent zu sein. Ich lade dich ein, die Forderung dann nicht als Bitte zu verkleiden, sondern klar als Forderung zu äußern.
Meine Erfahrung zeigt, dass häufiges Bitten beim anderen die Toleranz für Forderungen stärkt. Das heißt konkret, wenn ich die meiste Zeit wirklich versuche, gemeinsame Wege zu finden, und es dann einmal nicht schaffe, ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass mein Gegenüber die Dringlichkeit und meine Not erkennt und dann – auch ohne große Konsequenzen für die Beziehung – einfach tut, was ich verlange.
Wenn allerdings Forderungen der Grundtenor in der Beziehung sind, steigen Unzufriedenheit und Widerstand zunehmend und die Beziehung nimmt Schaden. Wenn dann tatsächlich mal die Offenheit für ein Nein da ist, fehlt oft das Vertrauen und das Gegenüber erlebt es trotzdem als Forderung. Wenn du also häufig Forderungen gestellt hast, gerade wenn sie als Bitten verkleidet waren, dauert es vermutlich eine ganze Weile, bis dein Gegenüber darauf vertraut, nein sagen zu dürfen.
Transparenz und Ehrlichkeit sind für mich hier besonders entscheidend. Wenn ich mich bemühe, eine Bitte zu stellen, aber merke, dass ich doch keine Offenheit für ein Nein habe, kann ich das entweder in dem Moment oder im Nachhinein auch transparent machen und bedauern.
Das kann zum Beispiel so aussehen:
Bitte geh du heute einkaufen … Oh, ich merk gerade, ich kann nicht offen dafür sein, dass du nein sagst, weil mir das so wichtig ist und ich einfach nicht weiß, wie ich es noch unterbringen soll. Ich würd dir gerne die Freiheit lassen, aber ich kann gerade nicht, sorry. Ich weiß nicht, ob es eine andere Idee gibt, wenn du nicht einkaufen gehen willst, aber ich seh gerade keine.
Ich hab dich vorhin angeschrien, dass du deine Schuhe anziehen sollst. Das tut mir leid, weil ich eigentlich gerne anders auf dich eingegangen wäre. Ich merk gerade, dass ich total unter Druck stand, weil ich unbedingt pünktlich sein wollte und mir gerade in dem Moment nicht anders zu helfen wusste. Eigentlich mag ich liebevoll mit dir sein und Wege finden, die für dich auch okay sind.
Räum jetzt BITTE endlich dein Zimmer auf! …. Warte mal… Das ist gerade gar keine Bitte, merk ich. Mir ist das gerade alles zu viel hier und diese Unordnung stresst mich total. Ich kann gerade nicht anders sagen als: Ich will, dass du dein Zimmer aufräumst und lass uns heute Abend nochmal darüber reden, wie es zukünftig anders gehen kann, sodass du auch eine Wahl hast.
In dem Moment, wo ich bereits auf diese Weise äußern kann, was in mir vor sich geht, entspannt sich schon etwas. Ich habe Klarheit über meine Bedürfnisse und Gefühle und mein Gegenüber kann leichter verstehen, was gerade in mir vor sich geht oder ging. So steigt das Verständnis, die Transparenz und das Vertrauen, dass grundsätzlich eine gemeinsame Lösung gesucht wird, auch wenn es nicht immer gelingt.
Möglichkeiten, Fehler und Entscheidungen
Ich möchte hier auch noch einmal betonen, dass alles, was ich dir hier mitgebe, nur meine Vorschläge, meine Erfahrungen, meine Ideen sind, wie es gehen kann. Es sind nur Möglichkeiten, kein Muss. Nimm dir raus, was FÜR DICH passt, was FÜR DICH Resonanz hat, was FÜR DICH ansprechend und hilfreich klingt. Probiere es aus, mach deine eigenen Erfahrungen und erweitere dein Repertoire an Möglichkeiten.
Das hier ist nicht das neue Richtig. Es ist ein Angebot, neue Wege zu gehen, eine Einladung, dir über bestimmte Dinge bewusst zu werden, eine Chance, deine Fähigkeiten und Möglichkeiten zu erweitern, um dich immer bewusster und freier entscheiden zu können, wie du mit dir selbst und anderen umgehen magst.
Und wenn dir das nicht gelingt, also wenn du mal nicht authentisch oder ehrlich sein kannst, wenn du eine Forderung als Bitte verkleidet hast oder wenn du deinem Gegenüber die Verantwortung für deine Gefühle und Bedürfnisse auferlegst, dann ist das okay, das ist in Ordnung!
Du kannst dich frei entscheiden, ob du im Nachgang nochmal drüber reden und es revidieren magst, ob du es reflektieren magst, ob du es stehenlassen magst, ob du es ignorieren magst, ob du es annehmen magst. Alles davon ist völlig okay.
Jeder Fehler darf gemacht werden und du darfst selbst entscheiden, ob du dieses Mal daraus lernen magst oder ob du ihn vielleicht noch ein-, zwei-, drei oder hundertmal machen magst und irgendwann anders daraus lernst – oder eben nicht. Es ist jederzeit deine Entscheidung, was du damit machst, und jede Entscheidung darf sein und ist völlig in Ordnung und wertvoll! Es ist dein Leben, dein Tempo, dein Spielplatz.
Du entscheidest. Du gestaltest. Und alles, was ist, darf sein.