Nun hast du den ersten Schritt der GFK bereits kennengelernt: die Wahrnehmung. Im zweiten Schritt geht es um Gefühle. Bevor wir auf die Grundunterscheidung eingehen und klären, wie wir Gefühle in der GFK ausdrücken, möchte ich in diesem Blogartikel die Bedeutung von Gefühlen aufzeigen. Dieses Verständnis ist hilfreich und wichtig, um in der Lage zu sein, die Gefühle überhaupt zu spüren, sie zu verbalisieren und damit den zweiten Schritt der GFK zu gehen.
Wie geht es dir? – eine schwierige Frage!
Meine langjährige beste Freundin schreibt mir seit Jahren oft Nachrichten, in denen sie mich ehrlich und interessiert fragt, wie es mir geht. Früher war ich dann oft in so einer Schockstarre, weil ich auf diese Frage nicht antworten wollte, dass ich ihr einfach nicht zurückgeschrieben habe. Irgendwann begann ich dann, während der Arbeit auf ihre Frage „Wie geht es dir?“ folgendermaßen zu antworten: „Gar nicht, ich arbeite!“.
Zunächst war es als Witz gemeint, aber in Wirklichkeit fühlte ich mich tatsächlich kaum, wenn es gerade um Effizienz ging. Ich glaube, in diesem Stadium befinden sich viele Menschen. Wir wissen nicht, was wir fühlen oder sind nicht bereit, uns unseren Gefühlen zu stellen, vor allem wenn wir gerade „funktionieren“ wollen – es könnte ja etwas aufkommen, das unserer Effektivität im Wege steht.
Irgendwann antwortete ich auch mit so etwas wie „Die Sonne scheint und ich war gerade spazieren. Jetzt geht es wieder an die Arbeit.“ oder „Ich habe viel geschafft!“ – keinerlei Information über mein Gefühl, sondern nur mein Tagesablauf und Fakten. Oder ich beschrieb aus dem Kopf heraus, welches Gefühl aufgrund meiner Lage passend schien, so nach dem Motto: „Ich habe meine Erledigungen geschafft und habe jetzt Feierabend. Ich muss folglich zufrieden sein.“
Wie antwortest du auf die Frage danach, wie es dir geht?
Antwortest du auch oft ausweichend oder fertigst die Frage mit einem nicht ernst gemeinten „Gut, gut, und selbst?“ oder einem „Joa, passt schon!“ ab?
Ich mag diese Reaktionen und auch das Nicht-Fühlen-Wollen gar nicht für „falsch“ oder „schlecht“ erklären! Es geht mir viel eher darum, dass diese Art des Umgangs mit Gefühlen zeigt, wie wenig wir in der Gesellschaft über Gefühle sprechen und wie wenig bewusst wir oft mit ihnen umgehen. Ich vermute, die wenigstens von uns entscheiden sich ganz bewusst in jedem Moment, ob sie ihre Gefühle gerade fühlen bzw. ausdrücken wollen oder nicht. Viel eher stecken wir in diesem unbewussten Muster und können uns gar nicht anders entscheiden, weil es keine oder nur unangenehme Alternativen für uns zu geben scheint.
Mir geht es nicht darum, dass wir zu jederzeit immer ausdrücken oder spüren, wie genau es uns geht. Es geht mir darum, die Möglichkeit für einen neuen Umgang und eine gute Verbindung zu sich selbst zu schaffen, damit wir uns dann frei und bewusst entscheiden können, ob wir gerade unsere Gefühle spüren und/oder ausdrücken möchten oder nicht.
Ich habe so viele Menschen erlebt – in Coachings, Seminaren, meinem persönlichen Umfeld –, die nicht wissen, was sie fühlen oder keinen Zugang dazu haben. Die sehr schnell wissen, was „richtig“ und was „falsch“ ist oder was sie denken, aber sich sehr schwer damit tun, zu sagen, was sie fühlen.
Viele haben Angst davor, sich ihren Gefühlen zu stellen. Lange gehörte ich auch dazu und manchmal habe ich auch heute noch solche Momente. Meine jahrelangen Depressionen hatten mich gelehrt: „Gefühle sind schmerzhaft -> lieber meiden!“ Und so versuchte ich fast immer, meine Gefühle wegzuschieben.
Wenn wir Gefühle ignorieren …
In der GFK lernen wir, Gefühle wieder zu fühlen, ihren eigentlichen Sinn zu erkennen und ihre Sprache zu sprechen. Wir lernen, immer öfter in uns hineinzuspüren und die Botschaft, die die Gefühle für uns haben, zu deuten und umzusetzen. Das Prinzip dahinter ist simpel, aber die Umsetzung durch unsere Sozialisation umso schwerer: Alles, was da ist, darf auch da sein. Es geht darum, annehmen und lieben zu lernen, was bereits da ist, damit ich daraus meine Zukunft bewusst gestalten kann. Es ist, was es ist und es wird, was ich daraus mache!
Am Anfang habe ich mir sehr schwer getan mit der Aufgabe, mich selbst zu spüren. Es kamen Gedanken wie: „In mich hineinspüren, oh Gott, da kommen ja dann die ganzen schlimmen Gefühle zum Vorschein, mit denen ich gar nichts zu tun haben will!“ Durch die GFK habe ich verstanden, dass diese Gefühle nicht weggehen werden, solange ich sie ignoriere.
Mir hat folgendes Bild geholfen, das mir eines Tages beim Spüren meiner Gefühle in den Sinn kam:
Stell dir ein Kind vor, das anfangs sanft am Ärmel zupft und leise sagt: „Mama …“. Wird die Mutter sich daraufhin zu dem Kind runterbeugen und ihm zuhören, weiß es: ein sachtes Zupfen reicht aus, damit mir meine Mama zuhört. Wird die Mutter das Kind allerdings komplett ignorieren, zupft es stärker am Ärmel und sagt schon etwas lauter „Mamaaaa!“. Wird es auch dann nicht beachtet, wird seine Not größer und damit die Vehemenz und die Dringlichkeit. Also fängt es früher oder später an zu schreien und heftig am Arm zu zerren: „MAAAMAAAAA!!!!“ Irgendwann bleibt der Mutter keine Wahl mehr und sie muss hinhören. Das Kind lernt dabei: Nur wenn ich so laut schreie und meiner Mama am Arm reiße, wird sie mich beachten.
Aus meiner Erfahrung heraus ist das mit Gefühlen genauso! Solange ich sie nicht fühle, werden sie nicht weggehen. Im Gegenteil: sie türmen sich zu einer großen Welle auf, verstärken sich, werden lauter und heftiger – bis ich sie irgendwann nicht mehr ignorieren kann und dann von ihrer vollen Wucht überschwemmt werde. Sie verschwinden nicht von alleine, geben nicht einfach auf, weil ihre Aufgabe dazu viel zu wichtig ist. Vielleicht merke ich eine Zeit lang nichts davon, weil ich mich ablenke, aber irgendwann erwischt es mich doch.
Wenn ich die Gefühle aber nun häufiger beachte und ihnen liebevolle Aufmerksamkeit schenke, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass sie in ihrer Vehemenz auch wieder zurückgehen. Sie lernen langsam: „Ein Zupfen reicht, um Aufmerksamkeit zu bekommen!“ und müssen nicht auf das heftige Zerren und Schreien zurückgreifen.
Bei manchen Menschen, die Gefühle zu lange verdrängen, äußern diese sich irgendwann in psychischen Schwierigkeiten (Depressionen, Burnout, Panikattacken, Aggressionen usw.) oder psychosomatischen Krankheiten (Magengeschwür, Herzinfarkt, Migräne, Krebs usw.) oder verstärken diese.
Meine Erfahrung sagt mir, dass Gefühle niemals einfach irgendwann „weggehen“. Sie sind Teil von uns und bleiben es, bis sie ihre Aufgabe erfüllt haben. Und ihre Aufgabe ist es, uns zu einem erfüllteren Leben zu verhelfen.
Gefühle als Wegweiser zu einem erfüllten Leben
Stell dir mal ein Armaturenbrett im Auto vor. Dort leuchten einige Lämpchen und es gibt Anzeigen, die dir sagen, wie voll dein Tank ist, und Lämpchen die leuchten, wenn zum Beispiel das Wischwasser leer ist, der Reifendruck nicht mehr stimmt oder nicht mehr genug Öl vorhanden ist.
Letztendlich sind Gefühle wie diese Anzeigen im Auto. Sie sind weder negativ noch positiv, sondern zeigen einfach nur den Zustand an, in dem sich dein Körper und deine Seele befinden. Ist dein Tank voll, ist die Anzeige weit oben und du bist fröhlich, ausgelassen oder entspannt. Ist der Tank leer, bist du vielleicht müde, erschöpft, ausgebrannt oder gestresst. Angst zeigt dir, dass etwas gefährlich sein könnte und möchte dich davor schützen, so wie die Lampe, die dir sagt: Reifendruck prüfen!
Würdest du die Lämpchen als positive und negative Lämpchen bezeichnen? Ist beispielsweise das Licht, das aufleuchtet, wenn dein Reifendruck zu niedrig ist, ein negatives Licht? Wenn diese Lichter nicht da wären, würdest du fröhlich weiterfahren, obwohl dein Auto einen Motorschaden hat, bis es irgendwann kaputt geht oder du vielleicht einen gefährlichen Unfall baust.
Was wäre also, wenn du nur noch „positive“ Gefühle hättest? – Dann würdest du vermutlich glückselig lächelnd verhungern oder verdursten.
Denn Gefühle sind unsere Wegweiser, die uns zeigen, was wir brauchen! Gefühle sind also dazu da, um uns deutlich zu machen, was gerade nötig ist, um zu überleben und das Leben zu führen, das unseren Werten entspricht. Sie weisen uns auf den Kern der GFK hin, der uns zu einem reicheren, schöneren Leben führen kann: unsere Bedürfnisse.
Bedürfnisse sind positive, abstrakte Werte, die allen Menschen im Leben wichtig sind: Freiheit, Sinn, Sicherheit, Unversehrtheit, Spaß, Vorankommen, Zugehörigkeit, Selbstbestimmung, Verständnis, angenommen sein, Liebe, Vertrauen, Verlässlichkeit, Klarheit, Respekt usw.
Über Bedürfnisse wird es im dritten Schritt der GFK detaillierter gehen. Eine alphabetische Liste mit verschiedenen menschlichen Bedürfnissen findest du hier:
Wie wichtig uns gerade ein Bedürfnis ist und wie erfüllt oder unerfüllt es ist, sagt uns unser Körper durch unsere Gefühle. Ist mir gerade Zugehörigkeit und Teil einer Gruppe sein total wichtig, aber leider erlebe ich das gerade nicht in meinem Leben, fühle ich mich vermutlich einsam und traurig. Ist es mir wichtig, dass alle Lebewesen sicher und in Frieden leben können und sehe, wie Menschen in Kriegssituationen genau das Gegenteil leben, fühle ich vielleicht Wut oder eine tiefe Verzweiflung in mir aufsteigen. Ist mir gerade Sinnhaftigkeit und Wirksamkeit total wichtig und ich erlebe es in meiner Arbeit total erfüllt, bin ich möglicherweise zutiefst glücklich und zufrieden.
Anfangs weiß ich vielleicht gar nicht, was meine Gefühle von mir wollen. Sie sagen nur: „Etwas ist nicht ok!“, so wie ein Baby, das einfach nur weint. „Aber was genau ist denn nicht in Ordnung? Und wie kann ich das beheben?“ – das bleibt manchmal zu Beginn ein Rätsel. Erst, wenn wir achtsam hinsehen und unseren Gefühlen Raum geben, sie sein lassen, können wir wirklich verstehen, was sie uns sagen wollen.
Kurz gesagt: Gefühle – gerade solche, die wir nicht haben wollen – weisen uns darauf hin, was wir dringend brauchen und was gerade nicht erfüllt ist und können uns somit ein Wegweiser in ein erfüllteres Leben sein, wenn wir lernen, sie zu beachten und ihre Botschaften zu verstehen.
Das war’s mit Folge 7
In der nächsten Folge werden wir uns genauer ansehen, was Gefühle sind, wie du sie ausdrücken kannst und was zwar sprachlich aussieht wie Gefühle, aber eigentlich etwas ganz anderes beschreibt.
Wenn du jetzt Lust bekommen hast, selbst einzusteigen und zu lernen, wie du den Umgang mit anderen Menschen erreichst, den du dir wünschst, dann besuche gerne ein Seminar von mir oder melde dich zu einem persönlichen Coaching an: