Folge 10: Was sind Bedürfnisse?

Du kennst nun die Grundhaltung und die ersten beiden Schritte der GFK: Die neutrale Wahrnehmungen und die Gefühle. Im dritten Schritt geht es um das Zentrum der GFK: die Bedürfnisse.

Erinnerst du dich an die Grundannahmen aus einer der ersten Folgen? Eine davon lautet, dass alles, was Menschen tun, ein Versuch ist, sich Bedürfnisse zu erfüllen. Das heißt, hinter jedem Verhalten steht mindestens ein Bedürfnis, das gerade erfüllt werden möchte. Was aber sind Bedürfnisse?

Was genau sind Bedürfnisse?

Bedürfnisse sind allgemein menschliche Werte, die wir alle teilen. Sie sind abstrakt, also noch gar nicht konkret an bestimmten Personen, Handlungen, Situationen oder Dingen festgemacht, und nicht mit den Sinnen direkt wahrnehmbar (schmecken, hören, sehen, riechen usw.).

Jeder Mensch kann unter den jeweiligen Bedürfnissen etwas anderes verstehen oder sie anders ausleben. Ihre Priorisierung verändert sich je nach Situation und ist auch von Mensch zu Mensch unterschiedlich. Wie wichtig und wie präsent gerade Bedürfnisse sind, kommt also auf viele verschiedene Kontextfaktoren an.

Es gibt unterschiedliche Einteilungen von Bedürfnissen, z. B. in

  • soziale Bedürfnisse wie Zugehörigkeit, Anerkennung, gesehen oder gehört werden, Gemeinschaft, Unterstützung, Austausch, Offenheit usw.
  • individuelle Bedürfnisse wie Klarheit, Sinnhaftigkeit, Selbstbewusstsein, Wirksamkeit, Leichtigkeit, Selbstbestimmung, Authentizität, Balance usw. und
  • physiologische Bedürfnisse wie Sicherheit, Unversehrtheit, Freiheit, Nahrung, Schutz, Halt, Schlaf, Ruhe, Sexualität usw.

Diese Einteilung dient vor allem dazu, dass du dir besser und konkreter vorstellen kannst, was es für Bedürfnisse gibt und ein paar Beispiele kennst. In der GFK gibt es allerdings keine Einteilung von Bedürfnissen, da aus meiner Sicht – wenn wir  tiefer blicken – alle miteinander zusammenhängen, und eine Einteilung der Komplexität und auch der Offenheit nicht Rechnung tragen würde.

Hier findest du eine ausführliche Liste mit Bedürfnissen

„Ich brauche einen Kaffee!“ – Verwechslungsgefahr

Oft sind uns unsere Bedürfnisse nicht bewusst und wir handeln eher nach alten Mustern und Gewohnheiten, als über unsere Bedürfnisse nachzudenken und dann Möglichkeiten zu ihrer Erfüllung zu finden. Ich behaupte, dass Menschen nur deshalb auch Dinge tun, die anderen schaden, weil sie sich ihrer Bedürfnisse nicht bewusst sind und nicht wissen, dass es noch andere Wege gibt, für sich zu sorgen oder welche das sein könnten.

Für jedes Bedürfnis gibt es nämlich unendlich viele Möglichkeiten, um es zu erfüllen. Wenn wir uns dieser Möglichkeiten bewusst werden, entsteht eine riesige Freiheit, Gelassenheit und Vielfalt im Leben.

Wenn wir uns aber unserer Bedürfnisse nicht bewusst sind und sie mit einer bestimmten Strategie – das heißt, einer konkreten Handlung oder Sache zur Erfüllung von Bedürfnissen – gekoppelt haben, dann scheint es uns so, als würden wir genau diese eine Sache oder Handlung brauchen und als gäbe es keinen anderen Weg.

Dann „brauchen“ wir einen Kaffee oder Schokolade, diesen einen bestimmten Partner, den Mallorca-Urlaub oder dass Peter sein Zimmer aufräumt. Das sind alles keine Bedürfnisse, sondern Strategien, um mir gewisse Bedürfnisse zu erfüllen.

Es gibt, grob heruntergebrochen, vier wesentliche Unterschiede zwischen Strategien und Bedürfnissen:

Fixierung auf Lieblingsstrategien

Wir wissen oft nicht, um welche Bedürfnisse es geht. Wir wissen nur, dass es uns „nicht gut“ geht und wir uns „besser“ fühlen, wenn wir genau dieses oder jenes tun oder bekommen. Dadurch entsteht schnell eine starke Enge, die uns einschränkt. In der GFK nennen wir das „Fixierung auf eine Lieblingsstrategie“.

Ich bin der Ansicht, dass (mindestens fast) alle Konflikte auf der Welt dadurch entstehen, dass Menschen auf eine Strategie fixiert sind und diese mit aller Gewalt durchsetzen wollen, weil sie nicht wissen, welche Bedürfnisse dahinterstehen und dass diese auch auf ganz anderen Wegen erfüllt werden können.

Ein Beispiel:
Ich möchte mit meinem Freund etwas unternehmen. Er möchte auf der Couch einen Film schauen. Nun haben wir einen scheinbar unlösbaren Konflikt, in dem mindestens einer von seinem „Bedürfnis“ (das eigentlich eine Strategie ist), zurücktritt oder einen Kompromiss eingehen muss (Kompromiss: mindestens einer verzichtet auf wesentliche Bedürfnisse). Wenn uns nicht klar ist, worum es uns wirklich geht, kann diese Situation nur unzureichend aufgelöst werden.

Gehen wir allerdings auf Bedürfnisebene, kann es einen Konsens geben, also einen Weg, bei dem die wichtigsten Bedürfnisse auf beiden Seiten berücksichtigt werden und mit dem daher beide zufrieden sind.

Übung:
Überleg‘ dir in diesem Beispiel, um welche Bedürfnisse es mir und meinem Partner in dieser Situation gehen könnte.

Wenn du dir ein paar Bedürfnisse überlegt hast, stelle ich dir meine Idee vor, worum es gehen könnte:

Meine Ideen:

Ich möchte etwas unternehmen: Ich langweile mich zuhause und möchte Abwechslung, Abenteuer und Aktivität. Ich habe außerdem den Gedanken, wenn wir etwas zu zweit unternehmen, könnte das unsere Verbindung stärken.

Er möchte einen Film schauen: Er hatte einen anstrengenden Tag und ihm geht es vielleicht um Ruhe, Entspannung, Abschalten und Erholung.

Wenn wir die Bedürfnisse kennen, können wir einen Weg suchen, der alle oder zumindest die wichtigsten Bedürfnisse von beiden Seiten einschließt.

Hier einige Ideen, die daraus entstehen könnten:

  • Ich könnte alleine etwas unternehmen oder mit einer guten Freundin und ihm abends davon berichte, während wir auf der Couch kuscheln – so habe ich Aktivität, Abenteuer, Abwechslung und am Ende entsteht auch Verbindung zwischen uns. Er kann die Zeit nutzen, um sich zu erholen.
  • Wir unternehmen etwas, das er als entspannend erlebt. Zum Beispiel könnten wir mit dem Auto an den See fahren, er kann sich in die Sonne legen und entspannen und ich kann am See schwimmen, mich beim Beachvolleyball einreihen oder dort eine Runde spazieren gehen.
  • Wir könnten einen Film schauen, der für mich auch Abwechslung und Abenteuer bedeutet, zum Beispiel einen erotischen Film oder einen Horrorfilm.
  • Wir könnten ins Kino gehen und dort einen Film schauen.
  • Wir könnten ausmachen, dass wir jetzt einen Film schauen und danach noch weggehen, wenn er sich etwas erholen konnte.

Wie du siehst, gibt es einfach eine viel größere Vielfalt an Möglichkeiten, wenn wir wirklich auf Bedürfnisebene schauen, was uns gerade wichtig ist.

Natürlich ist es in dem Falle meine Lieblingsstrategie, dass wir jetzt sofort gemeinsam etwas unternehmen – und die Lieblingsstrategie meines Partners, dass wir uns jetzt auf die Couch legen und einen Film schauen. Wenn wir allerdings auf dieser Ebene bleiben, wird mindestens einer von beiden unzufrieden sein mit der Lösung und die Beziehung kann nachhaltig Schaden nehmen.

Dieses Beispiel zeigt jetzt relativ oberflächlich, welche Möglichkeiten es gibt, wenn wir auf Bedürfnisebene schauen. Allerdings passiert noch so viel mehr, wenn wir in der Lage sind, unsere Bedürfnisse zu erkennen und darüber zu sprechen.

Was genau das ist und wie das gehen kann, erfährst du in den nächsten Folgen!

Wenn du jetzt Lust bekommen hast, selbst einzusteigen und zu lernen, wie du den Umgang mit anderen Menschen erreichst, den du dir wünschst, dann besuche gerne ein Seminar von mir oder melde dich zu einem persönlichen Coaching an: