Jetzt weißt du bereits, was Gefühle sind und wozu sie dir dienen. Aber wie entstehen sie eigentlich? Und wie viel Einfluss habe ich selbst auf meine Gefühle und die Gefühle anderer? Dieses Wissen kann dir helfen, dich selbst besser zu verstehen und mit deinen Gefühlen konstruktiver umzugehen. Du wirst sehen, du hast mehr Macht über deine Gefühle, als du glaubst – und das ohne sie zu verdrängen oder wegzumachen.
Wie entstehen Gefühle?
In der GFK unterscheiden wir zwischen einem Auslöser, der Gefühle auf den Plan ruft, und einer Ursache, die den Gefühlen zugrunde liegt.
Auslöser für Gefühle können Ereignisse, Handlungen, Worte oder Situationen von außen sein, aber auch Gedanken, die ich selbst habe. Sie sorgen dafür, dass dieses Gefühl in diesem Moment auf den Plan und in unser Bewusstsein tritt.
Ursache unserer Gefühle ist laut der Theorie der GFK immer ein unerfülltes oder erfülltes Bedürfnis in mir selbst.
Das bedeutet beispielsweise, zunächst ist – möglicherweise durch einen Auslöser von außen – ein Bedürfnis unerfüllt. Dann treten die Gefühle auf, um mir zu sagen, dass dieses Bedürfnis gerade relevant ist und gerne erfüllt werden möchte – das ist die Ursache.
Ein Beispiel: Eine Freundin sagt mir ab. Das löst bei mir Traurigkeit aus – nicht, weil die Freundin abgesagt hat, sondern weil ich mir gerade Austausch und Gemeinschaft wünsche und vielleicht auch Verlässlichkeit. Der Auslöser ist also die Handlung der Freundin, die Ursache für mein Gefühl ist mein Wunsch nach Gemeinschaft.
Die Ursache für meine Gefühle kann nie im Außen liegen.
Das erkennst du auch daran, dass es in einer verschiedenen Situation dieselbe Handlung von außen, also derselbe Auslöser (die Freundin sagt ab), ganz unterschiedliche Gefühle hervorruft: Wenn ich einen stressigen Tag hatte und ein starkes Ruhebedürfnis habe und die Freundin sagt ab, wäre mein Gefühl vermutlich Entspannung oder Erleichterung. „Puh, zum Glück sagt sie mir ab und ich kann ein bisschen Zeit für mich alleine haben!“ Sie hat auch dieses Gefühl ausgelöst, aber welches Gefühl genau in mir ausgelöst wird, hängt von der Ursache ab, also meinen Bedürfnissen, die gerade relevant sind.
Primär- und Sekundärgefühle
Dabei bleibt es aber oft nicht, denn wir haben gelernt, blitzschnell zu bewerten und Dinge in Richtig und Falsch oder Gut und Schlecht einzuteilen. Das bedeutet, ehe ich mein Gefühl der Traurigkeit über die Absage wahrnehme, kommen bereits Gedanken auf wie „Dass sie sich nicht einfach mal an das Ausgemachte halten kann! Echt typisch!“ oder „Warum hat sie denn kein Interesse an mir? Hab ich das letzte Mal zu viel geredet?“ und schon entstehen andere Gefühle wie Wut, Ärger, Schuld oder Scham.
Diese Gefühle nenne ich „Sekundärgefühle“. Sie sind echte Gefühle nach GFK, aber sie entstehen nicht nur aus einem Bedürfnis heraus, sondern durch unsere Bewertung der Situation, also unsere Interpretationen.
Wut, Ärger, Schuld und Scham sind Sekundärgefühle, da sie aus meiner Sicht nur dann entstehen, wenn wir Gedanken von Falsch und Richtig über eine Situation haben. Allerdings sind auch die meisten anderen Gefühle, die wir in unserem Leben empfinden, Sekundärgefühle, da wir so stark gelernt haben, in Falsch und Richtig zu denken, dass uns das grundsätzlich in den meisten Situationen in unserem Fühlen beeinflusst.
Sekundärgefühle erkennen wir unter anderem daran, dass sie erhalten bleiben, obwohl die Situation sich bereits gewandelt hat. Beispielsweise kann ich mich noch lange im Nachhinein darüber ärgern, dass der Techniker mein Internet erst drei Wochen nach dem Einzug installiert hat, obwohl das Internet inzwischen wunderbar läuft. Oder ich kann mich noch lange nachher für eine Situation schämen oder beschuldigen, die bereits Jahre her ist und inzwischen keine Auswirkungen mehr auf mein Leben hat.
Bei einem Baby ist das anders. Babys zeigen sogenannte „Primärgefühle“, also Gefühle, die ohne Bewertung entstehen, nur aufgrund eines erfüllten oder unerfüllten Bedürfnisses. Das Baby weint und schreit, wenn es hungrig ist, aber wenn es gestillt wird, ist dieses Gefühl sofort verflogen. Der Ärger oder die Trauer dienen dem Baby als Kraft, um dafür einzutreten und zu sorgen, dass es seine Bedürfnisse erfüllt bekommt. Und wenn das Bedürfnis dann erfüllt ist, verschwinden die Gefühle wieder.
Bei Primärgefühlen sind noch keine Urteile darüber da, dass die Mama was falsch gemacht hat oder der Papa schuld ist oder etwas mit einem selbst nicht stimmt. Das Gefühl folgt unmittelbar auf ein erfülltes oder unerfülltes Bedürfnis, das gerade wichtig ist, dient als Kraftquelle, um für sein Bedürfnis einzustehen, und verändert sich sofort, sobald sich die Situation ändert.
Auch hier geht es nicht darum, dass eines besser oder schlechter ist als das andere. Die Unterscheidung zwischen Primär- und Sekundärgefühlen soll dir nur aufzeigen, dass du durch deine eigene Bewertung fast alle deine Gefühle mitbestimmst – oft ohne es selbst zu merken!
Das bedeutet, die Ursache von unseren Gefühlen ist immer ein erfülltes oder unerfülltes Bedürfnis in uns selbst. Zusätzlich bestimmt die Bewertung und Interpretation, die wir der Situation geben, welches Gefühl entsteht. Diese beiden Faktoren bestimmen, welche Gefühle in uns in welchen Situationen auftauchen.
Verantwortung für Gefühle
Wie du siehst, liegt die Ursache für unsere Gefühle allein in uns selbst. Alles, was von außen kommt, ist nur der Auslöser. Je nachdem, wie wir diesen bewerten und wie unsere Bedürfnislage durch den Auslöser ist, können ganz unterschiedliche Gefühle entstehen. Wenn also die Gründe für meine Gefühle nur in mir sind, dann kann auch nur eine Person für meine Gefühle verantwortlich sein: ich selbst.
Jeder Mensch ist also für seine Gefühle vollends selbst verantwortlich – das ist ein Grundsatz der GFK.
Für die meisten Menschen, die ich bisher kennengelernt habe, ist das ein Aspekt, der sehr viele Widerstände auslöst, auf die ich gleich näher eingehen werde. Diese Widerstände rühren vermutlich daher, dass wir extrem intensiv gelernt haben, für Gefühle anderer Menschen Verantwortung zu übernehmen. Ständig wird suggeriert, dass man andere verletzen oder glücklich machen kann. Allein sprachlich verwenden wir alltäglich Formulierungen, die beinhalten, dass Menschen anderen „Gefühle machen“ könnten. Du kennst diese Sätze sicherlich:
„Der Typ macht mich so sauer!“
„Sie hat mich total enttäuscht!“
„Damit machst du mich so glücklich!“
„Ich habe ihn total genervt.“
„Du hast uns so stolz gemacht!“
„Er hat mich verletzt!“ usw.
All diese Formulierungen setzen voraus, dass wir in der Lage wären, bei anderen Menschen Gefühle zu erschaffen und damit die Verantwortung für ihre Gefühle tragen würden – und umgekehrt genauso.
Wenn du allerdings erkennst, dass die Ursache für Gefühle (also unsere Bedürfnisse und meist auch unsere Gedanken) immer in uns selbst liegt und bei jedem unterschiedlich ist, können wir gar nicht für die Gefühle anderer verantwortlich sein.
Ich kann bspw. bei jemandem großen Schmerz auslösen, indem ich ihn anlächle, weil er vielleicht denkt, ich würde mich über ihn lustig machen. Ich kann bei jemandem Dankbarkeit auslösen, wenn ich ihm meine Meinung um die Ohren haue, weil er froh ist, dass ich offen und ehrlich mit ihm spreche und er dadurch weiß, woran er ist. Ich kann nicht für das verantwortlich sein, was ich bei anderen auslöse, denn die Ursache für die Gefühle liegt in jedem Menschen selbst.
Selbst schuld?! – Schuld vs. Verantwortung
Ein großer Widerstand, der häufig aufkommt, wenn Menschen zum ersten Mal mit dem Gedanken konfrontiert werden, dass wir alle für unsere Gefühle selbst verantwortlich sind, ist folgender: „Was, wenn mir jemand was Schlimmes antut, dann ist doch klar, dass derjenige Schuld ist, dass es mir schlecht geht! Wenn mich zum Beispiel jemand überfällt und ausraubt, dann bin ich ja wohl nicht selbst schuld, wenn es mir danach schlecht geht!“
Hierfür braucht es das Verständnis über eine grundlegende Unterscheidung: Schuld vs. Verantwortung. Schuld ist nicht das, worum es mir hier geht. Schuld ist ein Konzept, das in der GFK nicht existiert. Ich beantworte hier nicht die Frage danach, wer schuld ist, da diese Frage meiner Ansicht nach generell weder sinnvoll noch hilfreich ist. Mir geht es um Verantwortung. Viele Menschen verwenden die beiden Worte synonym oder hören hinter Verantwortung auch immer Schuld. Für mich besteht zwischen Verantwortung und Schuld ein riesiger Unterschied:
Schuld ist rückwärtig gerichtet, mit Last und Unveränderlichkeit behaftet und basiert auf Denken von Richtig und Falsch. Verantwortung hingegen ist vorwärts gerichtet, als Kraft nutzbar und verbindet mich mit meinen Werten.
Das bedeutet kurz gesagt: Nein, wenn dich jemand überfällt, ist es nicht deine SCHULD, wenn es dir schlecht geht. Es ist deine VERANTWORTUNG, wie du damit umgehst und wie es dir damit geht.
Lass uns in diese beiden Konzepte eintauchen, damit ich dir veranschaulichen kann, was der Unterschied für mich ist. Spüre einmal bei den beiden Gedankenkonzepten in dich hinein und schau, was es mit dir macht, das zu lesen:
Ich bin schuld:
„Kein Wunder, dass ich ausgeraubt wurde, ich bin ja selbst schuld. So spät nachts noch an einem entlegenen Geldautomaten so viel Geld abzuheben – damit habe ich es ja total heraufbeschworen! Ich brauche jetzt auch gar nicht zu jammern, wenn man sich so unbedacht verhält, hat man es ja auch nicht anders verdient! Ich habe also kein Recht, jetzt deswegen rumzuheulen. Ich muss mich einfach damit abfinden, ich hätte halt einfach nicht so dumm sein dürfen … “
Ich trage die Verantwortung:
„Ich wurde ausgeraubt und bin noch immer total schockiert. Meine Angst und mein Schock dürfen da sein – es war für mich wirklich eine schlimme Situation. Ich merke, es geht mir um Sicherheit und Vertrauen, das sind mir zwei unglaublich wichtige Werte in meinem Leben. Ja, ich mag mich sicher fühlen und Vertrauen haben. Ich bin selbst dafür verantwortlich, mir meine Bedürfnisse jetzt zu erfüllen. Was kann ich gerade tun, um mich wieder sicherer zu fühlen? Wen kann ich um Hilfe bitten? Was würde mir helfen, um mit der Situation konstruktiv umzugehen? Kann ich die Situation vielleicht sogar als Chance betrachten?“
Fühlst du einen Unterschied in den beiden Versionen, wie ich mit mir selbst spreche? Das beschreibt für mich so ungefähr den Unterschied zwischen Verantwortung und Schuld. Allgemein formuliert kann man sagen:
Die Schuld bei dir zu sehen, würde für mich implizieren, du hättest dich falsch verhalten und hättest es daher nicht anders verdient. Schuld ist also eine schwere Last, die falsches Verhalten voraussetzt und im gewaltvollen Denken von „Wer verdient was?“ angesiedelt ist.
Dass du die Verantwortung für deine Gefühle hast, impliziert hingegen Folgendes: Du bist kein Opfer und du musst nicht mit einer bestimmten Emotion auf das Verhalten eines anderen reagieren. Du hast die Fähigkeit, dich zu entscheiden und kannst selbst wählen, wie du die Situation bewertest und wie du damit umgehst. Du bist nicht davon abhängig, was andere Menschen tun, du hast selbst die Macht, über dein Leben und dein Fühlen zu bestimmen, indem du deine Gedanken und Bedürfnisse ernst nimmst.
Im Falle des Überfalls: Du darfst wütend sein und du darfst dich schlecht fühlen, aber du musst es nicht. Es ist nichts Unveränderliches! Du kannst nicht verändern, was geschehen ist, aber du kannst verändern, wie es dir damit geht.
Um einen wirklich konstruktiven und eigenverantwortlichen Umgang mit Gefühlen zu lernen, braucht es bei den meisten Menschen Übung. Wenn du es lernen willst, habe ich dir hier in diesem Blogartikel einige Möglichkeiten zur Übung zusammengestellt:
Die vier Schritte: Gefühle mit Bedürfnissen koppeln
Wenn du also vollends in der GFK-Haltung bist, dann gehst du nicht davon aus, dass das, was die andere Person getan hat, deine Gefühle verursacht, sondern deine eigenen Bedürfnisse und Bewertungen der Situation.
Wenn wir nun zurück zu den vier Schritten schauen, die du in der GFK lernst, dann nennst du zuerst die Wahrnehmung. Nun besteht die Gefahr, dass du im zweiten Schritt deine Gefühle nennst und dabei davon ausgehst, dass der andere für das Gefühl verantwortlich ist. Das würde sich sprachlich ungefähr so zeigen:
Wir haben gestern vereinbart, dass du den Müll mit runter nimmst und jetzt sehe ich, dass der Mülleimer voll ist (Wahrnehmung) und das macht mich echt traurig (Gefühl).
Wenn du allerdings die Haltung hast, dass deine Bewertung und deine Bedürfnisse dein Gefühl „machen“, kannst du das sprachlich ausdrücken, indem du das Gefühl mit dem Bedürfnis koppelst:
Wir haben gestern vereinbart, dass du den Müll mit runter nimmst und jetzt sehe ich, dass der Mülleimer voll ist (Wahrnehmung). Ich merke, dass ich traurig bin (Gefühl), weil mir echt wichtig ist, dass wir im Haushalt alle an einem Strang ziehen (Bedürfnis).
Spüre mal für dich rein, welches der beiden Beispiele bei dir als ZuhörerIn was genau auslösen würde. Letztendlich geht es auch hier – wie immer in der GFK – nicht primär um die Formulierung. Ich kann das letzte Beispiel auch genau so ausdrücken und perfekt im Einklang mit der sprachlichen Form der GFK sein und dabei die Haltung haben „Und du bist schuld, dass mein Bedürfnis nicht erfüllt ist und dass ich jetzt traurig bin!“.
Aber wenn wir uns immer wieder – auch durch die Formulierung – selbst klarmachen, dass nicht der andere für unsere Gefühle und Bedürfnisse verantwortlich ist, sondern allein wir selbst, dann ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass wir diese eigenverantwortliche Haltung irgendwann immer selbstverständlicher innehaben. Und wenn wir in der eigenverantwortlichen Haltung sind, dann macht es die zweite Variante wahrscheinlicher, dass beim anderen meine Haltung auch ankommt.
In den nächsten Folgen geht es dann darum, was Bedürfnisse sind, wie du sie ausdrücken kannst und womit sie häufig verwechselt werden.
Wenn du jetzt Lust bekommen hast, selbst einzusteigen und zu lernen, wie du den Umgang mit anderen Menschen erreichst, den du dir wünschst, dann besuche gerne ein Seminar von mir oder melde dich zu einem persönlichen Coaching an: