Folge 3: Was ist Gewalt?

Ich lehne Gewalt ab, weil dort, wo sie Gutes zu bewirken scheint, das Gute nur vorübergehend ist, während das Übel, das sie verursacht, dauerhaft ist.
– Mahatma Gandhi

Heute geht es um die Haltung der Gewaltfreien Kommunikation, also ihre zweite Seite neben der sprachlichen Form. Zu allererst möchte ich dazu mit dir besprechen, was das „gewaltfrei“ in Gewaltfreie Kommunikation eigentlich bedeuten soll. Um zu verstehen, welche wesentlichen Aspekte die Haltung der GFK beinhaltet, brauchen wir ein Verständnis darüber, was in der GFK als Gewalt definiert wird.

Eine Definition von Gewalt

Lass uns mal sehen, ob wir ein gemeinsames Verständnis von Gewalt haben. Ich bitte dich, mal folgende Situationen einzuschätzen und mir zu sagen, ob hier Gewalt stattfindet oder nicht. Bitte schätze jede Situation für dich ein, ob sie Gewalt für dich beinhaltet und wenn ja, von welcher Seite aus.

1. Eine Frau beleidigt ihren Mann als „Versager“ und er gibt ihr eine Ohrfeige.
2. Ein Mann schubst im Konflikt einen Kollegen leicht, dieser fällt sehr ungünstig über eine Brüstung und bricht sich den Arm.
3. Ein Vater sagt zu seinem Sohn: „Hör auf zu heulen.“
4. Eine Mutter sagt zu ihrer Tochter: „Du machst Mami traurig, wenn du dein Essen nicht aufisst!“
5. Ein Vater zieht sein Kind ruckartig am Arm von einer befahrenen Straße.
6. Die Mutter reißt dem Kind ein scharfes Messer aus der Hand und schreit: „Sag mal, spinnst du eigentlich?!“
7. Ein Mann fasst einer fremden Frau an die Brust und sie sprüht ihm Pfefferspray in die Augen.
8. Die Eltern sagen die Geburtstagsfeier ihres Sohnes ab, weil er eine 6 nach Hause gebracht hat und sagen „Du bist einfach zu faul, so geht es nicht weiter!“
9. Die Eltern geben ihrem Kind 10 Euro, weil es eine 1 geschrieben hat und sagen „Du bist so ein schlaues Kind!“
10. Ich mache Überstunden, obwohl ich überhaupt keine Lust habe und total überarbeitet bin, weil ich Angst davor haben, meinem Chef Nein zu sagen.  

War es ganz leicht für dich zu entscheiden oder hast du schwer getan? Warum?

Die meisten Menschen differenzieren bei Gewalt nach bestimmten Gesichtspunkten:

  • War es absichtlich oder versehentlich?
  • Was ist die Absicht dahinter? Ist es für oder gegen einen anderen?
  • Nimmt ein anderer Schaden dabei?
  • War es gerechtfertigt? Also bin ich einverstanden oder nicht mit dem Verhalten?

Waren das auch Fragen, die du dir gestellt hast? Hast du vielleicht auch bei dem ein oder anderen Beispiel gedacht: „Eigentlich ist es schon irgendwie Gewalt, aber irgendwie auch nicht, weil es ja gerechtfertigt war!“ Prüfe mal, ob du solche Gedanken hattest, das wird gleich noch von Bedeutung sein.

Ich möchte gleich mit dir schauen, in welchen der Situationen wir in der GFK von Gewalt sprechen. Aber zuerst möchte ich dir die Definition der GFK für Gewalt geben:

Gewalt ist jeder Versuch, mich oder andere auf Basis meiner Bewertungen zu bestrafen oder meine Bedürfnisse ohne Rücksicht auf die anderer / wesentliche eigene Bedürfnisse durchzusetzen.

Alles, was mit Strafen oder Rücksichtslosigkeit zu tun hat, ist also eine Form von Gewalt nach GFK. Belohnungen zählen übrigens in der GFK auch als Strafe – das ist für manche verwirrend, aber darauf gehe ich nachher noch genauer ein! Lass uns also auf Basis dieser Definition mal die Beispiele ansehen. Lies sie dir nochmal durch und prüfe, ob du in den Beispielen Strafe, Belohnung oder Rücksichtslosigkeit auf die Bedürfnisse eines anderen findest:

1. Eine Frau beleidigt ihren Mann als „Versager“ und er gibt ihr eine Ohrfeige.
2. Ein Mann schubst im Konflikt einen Kollegen leicht, dieser fällt sehr ungünstig über eine Brüstung und bricht sich den Arm.
3. Ein Vater sagt zu seinem Sohn: „Hör auf zu heulen.“
4. Eine Mutter sagt zu ihrer Tochter: „Du machst Mami traurig, wenn du dein Essen nicht aufisst!“
5. Ein Vater zieht sein Kind ruckartig am Arm von einer befahrenen Straße.
6. Die Mutter reißt dem Kind ein scharfes Messer aus der Hand und schreit: „Sag mal, spinnst du eigentlich?!“
7. Ein Mann fasst einer fremden Frau an die Brust und sie sprüht ihm Pfefferspray in die Augen.
8. Die Eltern sagen die Geburtstagsfeier ihres Sohnes ab, weil er eine 6 nach Hause gebracht hat und sagen „Du bist einfach zu faul, so geht es nicht weiter!“
9. Die Eltern geben ihrem Kind 10 Euro, weil es eine 1 geschrieben hat und sagen „Du bist so ein schlaues Kind!“
10. Ich mache Überstunden, obwohl ich überhaupt keine Lust habe und total überarbeitet bin, weil ich Angst davor haben, meinem Chef Nein zu sagen.  

Wenn du genau hinsiehst, wirst du in all diesen Beispielen Gewalt nach der Definition der GFK finden. Aber bevor du jetzt aufschreist und sagst, dass es doch in manchen Beispielen wichtig und richtig ist, so zu handeln, mag ich dich entspannen: Gewalt wird in der GFK nicht als schlecht oder falsch angesehen.

Gewalt ist einfach nur, was es ist: Gewalt. Ganz wertfrei.

In der GFK geht es nicht darum, was gut oder schlecht, richtig oder falsch ist, sondern darum, wie etwas wirkt. Gewalt bedeutet, dass ich Macht über ein Person ausübe, indem ich sie manipuliere, bedrohe, zwinge oder sonst wie gegen ihre Bedürfnisse handle (das gilt auch im Umgang mit mir selbst!).

Jemandem Pfefferspray ins Gesicht zu sprühen, ist eindeutig Gewalt, denn es verursacht körperlichen Schmerz bei einer anderen Person. Ein Kind zu bestrafen, wenn es nicht so handelt, wie es mir gefällt, ist Gewalt. Ich berücksichtige seine Bedürfnisse nicht, sondern versuche es durch Schmerz und Angst so zu formen, wie ich es haben will.

Ein Kind mit Geld und Liebe nach Leistung dafür zu belohnen, wenn es das tut, was ich mir wünsche, ist Gewalt, denn auch hier forme ich das Kind so, wie ich es haben will, ohne seine Bedürfnisse zu berücksichtigen.

Ein Kind von der Straße wegzureißen, oder ihm das Messer aus der Hand zu nehmen, ist Gewalt gegen das Kind, das gerade freudig und sorglos herumläuft. Stell dir vor, du bist voller Freude und läufst herum, plötzlich kommt jemand und reißt dich am Arm weg und schreit dich an. Würdest du das nicht als Gewalt erleben?

Als ich zu Beginn meiner GFK-Zeit davon gehört habe, war ich innerlich total angespannt. Ich konnte mich nicht davon lösen, dass Gewalt schlecht wäre und vermieden werden muss, aber in einigen der Beispiele die Handlung doch wohl richtig und gerechtfertigt ist! Ich kann ja das Kind nicht einfach auf die Straße laufen lassen, wo es überfahren würde! Aber ich darf doch Gewalt nicht gutheißen! Es heißt ja sogar GEWALTFREIE Kommunikation, also ist doch Gewalt schlecht!? Ich war hin- und hergerissen zwischen meinen Urteilen, dass Gewalt etwas Schlechtes ist, und dass diese Handlung gut ist. Es passte nicht zusammen. 

Schützende und strafende Gewalt

Entspannt hat mich vor allem in der GFK die Grundunterscheidung, die ich dir hier mitgeben mag: die zwischen schützender und strafender Gewalt. Sie hat mir klargemacht, wie ich gleichzeitig meine Werte schütze, wenn Menschen ein Verhalten zeigen, das meinen Werten entgegensteht, und trotzdem wertschätzend mit ihnen umgehen kann.

Wie also sieht diese mächtige Unterscheidung zwischen schützender und strafender Gewalt aus?

Wie der Name schon sagt, dient schützende Gewalt rein dazu, um Bedürfnisse oder manchmal sogar das Leben von Menschen zu schützen. Strafende Gewalt hingegen dient dazu, Menschen zu bestrafen, um ihnen z. B. durch Angst und Schmerz oder durch Manipulation wie Belohnungen ein Verhalten abzugewöhnen oder ein anderes anzugewöhnen.

Das Beispiel mit dem Vater, der sein Kind von der Straße wegzieht, sieht aus wie ein Fall von schützender Gewalt. Er möchte sein Kind davor bewahren, überfahren zu werden oder sonstigen Schaden zu nehmen. Es folgt – soweit wir in dem Beispiel sehen können – keine Strafe oder Verurteilung des Kindes.

Im Beispiel, wo die Mutter das Kind anschreit, nachdem sie ihm das Messer entrissen hat, handelt es sich um strafende Gewalt. Die Mutter möchte das Kind dazu bringen, zu verstehen, dass sein Verhalten falsch ist und damit – natürlich auch zum Schutz des Kindes – dafür sorgen, dass es zukünftig aus Angst vor Ärger keine Messer mehr in die Hand nimmt.

Festmachen kann man den Unterschied an der Haltung der Person. Pauschal würde ich sagen: bei allen Handlungen, denen ein Gedanke zugrunde liegt, dass jemand etwas falsch oder richtig gemacht hat und Belohnung oder Strafe verdient, handelt es sich um strafende Gewalt.

Strafende Gewalt im alltäglichen Umgang

Viele Menschen sind so stark dazu erzogen, alles in richtig und falsch, schlecht oder gut, Schuld, Recht und Urteile darüber, wer was verdient, einzuteilen, dass sie sich eine andere Form des Umgangs – gerade in der Kindererziehung – gar nicht vorstellen können.

Der Gedanken, Kinder erziehen zu müssen, beinhaltet, ihnen klarzumachen, was richtig und falsch ist (natürlich aus MEINER Sicht, auch wenn es noch viele andere Ideen davon gibt, was richtig und was falsch ist) und durch Belohnung und Strafe dazu zu bringen, diesen individuellen Idealen zu genügen. „Wenn du dich nicht entschuldigst, gehen wir sofort nach Hause!“, „Entweder du isst auf oder heute Abend gibt’s kein Fernsehen!“ „Du hast alles aufgeräumt, super gemacht! Dafür darfst du jetzt noch ein bisschen was naschen!“ usw.

Wenn eine Pflanze nicht so wächst, wie du es gerne hättest, schreist du sie dann an und bestrafst sie, damit sie besser wächst?

Aber das endet nicht bei der Kindererziehung. In vielen Partnerschaften sehe ich es genauso, nur subtiler. Was mich besonders erschreckt hat, ist die Erkenntnis, dass einige Frauen bspw. Sex nutzen, um ihre Männer „zu erziehen“, also sie zu belohnen, wenn sie sich ihrer Ansicht nach richtig verhalten haben, und sie durch „Sexentzug“ bestrafen, wenn sie sich falsch verhalten haben.

Ich bin selbst natürlich überhaupt nicht frei von solchen Manipulationen, denn wir sind vermutlich alle so aufgewachsen, dass unsere Eltern uns durch Belohnung und Strafe in ihre eigenen Wertvorstellungen erziehen wollten, und wenden selbst in unterbewusst viel strafende Gewalt an. Nur durch Reflexion und Achtsamkeit können wir diese gewohnten Muster durchbrechen und neu lernen, wie wir unsere Umgebung ohne strafende Gewalt in Einklang mit unseren Werten gestalten können.

Auch im großen Kontext einer Gesellschaft gilt fast überall das Prinzip der Belohnung und Bestrafung. Parkst du falsch, wirst du bestraft. Gehst du brav zur Arbeit, auch wenn du keine Lust hast, bekommst du deinen Lohn. Das gesamt Rechtssystem basiert auf Schuld und Strafe. Lange konnte ich mir nicht vorstellen, dass es noch andere Möglichkeiten geben könnte, aber inzwischen bin ich davon überzeugt, dass es effektivere, sinnvollere Wege gibt, um in einer Gesellschaft friedlich zusammenzuleben. Dazu aber vielleicht an anderer Stelle mehr.

Strafende Gewalt ist also überall in unserem Leben verankert. Wie aber kann schützende Gewalt aussehen?

Schützende und strafende Gewalt im Vergleich

Ich nehme mal das Beispiel mit dem Messer. Ich reiße sowohl bei schützender als auch strafender Gewalt dem Kind das Messer aus der Hand und der Unterschied besteht darin, wie ich mich dann verhalte und welche Haltung ich dem Kind gegenüber habe.

Strafende Gewalt:
Bei strafender Gewalt würde ich denken oder sagen: Spinnst du, du weißt doch genau, dass du mit so was nicht spielen darfst! Nie kann man dich alleine lassen!“
Ich würde die Handlung des Kindes als „falsch“ beurteilen und meine Reaktion darauf als richtig.

Schützende Gewalt:
Bei schützender Gewalt würde das so aussehen: Ich spüre meine Gefühle und Bedürfnisse und bin gleichzeitig offen für die Gefühle und Bedürfnisse des Kindes. Ich sage vielleicht so etwas wie: „Puh, da bin ich gerade richtig erschrocken! Ich hab echt Angst, wenn du mit dem Messer spielst, dass du dich verletzt, und möchte dich schützen!“

Strafende Gewalt:
Wenn das Kind weint, weil es sich ebenfalls über das Entreißen erschreckt hat, würde ich bei strafender Gewalt denken oder sagen: „Selbst schuld!“ oder „Da brauchst du jetzt nicht weinen!“ oder „Du darfst nicht mit Messern spielen, das weißt du doch!“ und versuchen, klar zu machen, dass meine Handlung richtig war.

Schützende Gewalt:
Bei schützender Gewalt würde ich seine Bedürfnisse und Gefühle sehen und annehmen. „Du bist gerade auch ganz schön erschrocken, oder? Du warst neugierig und wolltest einfach damit spielen, oder?“ Das Kind darf weinen und sich erschrecken, ich werde ihm seine Gefühle nicht ausreden. Niemand hat etwas falsch gemacht. Ich habe auf Basis meiner Werte meine Bedürfnisse geschützt und damit die Bedürfnisse des Kindes übergangen.

Ein anderes Beispiel in einer Beziehung kann sein: Ich habe einen Streit mit meinem Freund und er schreit mich an. Ich möchte mich schützen, weil ich merke, dass mir das gerade zu viel wird. Ich schnappe mir meinen Schlüssel und fahre weg.

Strafende Gewalt:
Meine Gedanken: Ha, der weiß nicht, wohin ich fahre und darf jetzt erst mal ein bisschen schmoren! Wagt es, mich anzuschreien, dabei ist er doch derjenige, der sich unmöglich benimmt! Soll er mal sehen, wo er bleibt, wenn er nicht weiß, wann ich zurückkomme und wo ich hinfahre. Wenn ich nur genug Druck mache, wird er seinen Fehler einsehen und sich entschuldigen. Vielleicht kriegt er sogar Angst, dass ich nicht wiederkomme. Das wird er sich nächstes mal zweimal überlegen, ob er mich so angeht!
– Ganz ähnlich funktionieren übrigens strafende Methoden in der Erziehung: „Geh in ein Zimmer und denk über deine Fehler nach!“ oder „Stell dich in die Ecke und schäm dich!“

Schützende Gewalt:
Meine Gedanken: Wow, das war mir gerade wirklich alles zu viel. Ich bin gerade ganz schön überfordert mit meinen Gefühlen und kann gar nicht konstruktiv damit umgehen, wenn er so schreit. Ich weiß, dass er auch gerade total hilflos ist und gar nicht mit seiner Wut umgehen kann. Ich suche mir jetzt erstmal einen ruhigen Ort und sortiere meine Gedanken und Gefühle, ehe ich wieder mit ihm ins Gespräch gehe. Vielleicht kann ich dann besser damit umgehen oder er ist etwas runtergekühlt und ich kann ihm klarmachen, dass ich ruhig sprechen möchte.

Bei letzterer Variante würde ich vermutlich bereits beim Rausgehen so etwas sagen wie: „Ich pack das gerade nicht, mir ist das zu viel! Ich brauche gerade Zeit, um wieder einen klaren Kopf zu kriegen! Ich komme spätestens in zwei Stunden wieder, dann können wir weiterreden.“ Oder ich würde unterwegs eine Nachricht schreiben, dass ich nur kurz eine Auszeit brauche, um dann wieder in Ruhe mit ihm zu sprechen. So wird klar, dass es sich dabei nicht um eine Strafe handelt, sondern nur um einen Versuch, mich und die Beziehung zu schützen. 

Vielleicht ist dir jetzt der Unterschied klarer. In der schützenden Gewalt bin ich nicht wütend und denke nicht, dass irgendwer falsch gehandelt hat. Ich möchte lediglich meine Bedürfnisse schützen und übernehme die Verantwortung dafür, meine Werte zu leben, ohne sie für richtig zu erklären und alles, was ihnen nicht entspricht, für falsch.

Gewalt ist nicht gut oder schlecht – sie wirkt!

So, jetzt hast du vielleicht schon eine Idee davon, was der Unterschied zwischen schützender und strafender Gewalt ist. Bitte bedenke, dass es in der GFK nicht um richtig oder falsch geht, nach dem Motto: Schützende Gewalt ist ab sofort richtig und strafende Gewalt ist falsch. Es geht immer darum, was welche Wirkung hat und was ich erreichen möchte. Schauen wir uns mal die Wirkung der beiden Formen an:

Strafende Gewalt
Strafende Gewalt führt dazu, dass Trennung entsteht. Einer ist der Richter und der andere wird beurteilt, wodurch Augenhöhe verlorengeht und stattdessen ein „von oben herab“ entsteht. „Ich weiß, was richtig und was falsch ist und bewerte dich entsprechend.“
Das führt nicht nur zu Abhängigkeit von der Bewertung anderer Menschen, sondern auch zu Angst und Unterwerfung, oft auch Schuld und Scham,  oder auch zu Groll, Wut und Hass, denn Menschen – egal ob Kinder oder Erwachsene – möchten als gleichberechtigte Individuen mit ihren Wünschen und Meinungen wertgeschätzt und geliebt sein.
Das Gefühl hinter strafender Gewalt ist immer ein „Ich bin nicht okay so, wie ich bin.“ oder ein „Ich bin nur dann okay, wenn ich …“

Strafende Gewalt führt entweder zu Rebellion, Verweigerung und Gegenwehr oder tatsächlich zu der Verhaltensänderungen, die ich mir wünsche, aber aus Angst, Schuld oder Scham und auf Kosten des Vertrauens, der Sicherheit und der Verbindung. Das bedeutet, strafende Gewalt kann durchaus zu dem führen, was ich möchte – meist aber auch nur von kurzer Dauer und nur, solange der Druck aufrecht erhalten bleibt –, allerdings entsteht dabei auch Wut, Depression, Scham, Schuld, Hass, Wut und Schmerz und die Beziehung leidet.

Was man mit Gewalt gewinnt, kann man nur mit Gewalt behalten – Dalai Lama

Oftmals gilt dabei das Prinzip: Tu das, was ich dir sage, nicht das, was ich tue. Ein Beispiel dafür bringt Marshall Rosenberg. Er erzählt von einem Rektor, der sieht, wie ein großer Junge einen kleinen Jungen auf dem Schulhof schlägt. Der Direktor geht raus, schreit den großen Jungen an „Dir werde ich schon noch beibringen, Schwächere in Ruhe zu lassen!“ und schlägt ihn.
Was bringt der Direktor ihm bei? Wenn jemand sich nicht so verhält, wie ich es will, schlage ich denjenigen, um ihn zur Vernunft zu bringen. UND: Ich schlage keine Schwächeren – solange der Direktor hinsieht!

Der Direktor möchte eigentlich seinen Wert schützen, dass sich in seiner Schule alle sicher und wohlfühlen. Aber er versucht diesen Wert durch genau die strafende Gewalt durchzusetzen, die er vermeiden möchte, und verstößt dabei selbst gegen ihn.

Führen heißt vorleben, alles andere ist Dressur. – Boris Grundl 

Prüfe dich selbst: Wie oft verhältst du dich im Alltag auf eine Weise, die genau dem widerspricht, wie du behandelt werden willst? Wie oft bist du respektlos einem anderen gegenüber, weil du dir mehr Respekt von ihm wünschst? Wie oft schreist du jemanden an, weil du dir wünschst, dass du auch in Konflikten wertschätzend und liebevoll behandelt wirst?

Ich möchte nicht, dass wir uns jetzt alle schämen oder schuldig fühlen, weil wir es nicht immer schaffen, unsere Werte zu leben, im Gegenteil. Ich möchte, dass wir uns selbst reflektieren und erkennen, dass der Umgang mit anderen, wenn sie nicht so sind, wie wir es wollen, den wir von klein auf gelernt haben, gar nicht zu dem führt, was wir uns wünschen. Ich möchte, dass wir uns klar werden, dass wir durch strafende Gewalt nicht die Werte umsetzen, die uns wichtig sind, und dass wir spüren, wie sehr wir uns einen authentischen, integeren Weg wünschen, unsere Bedürfnisse und Werte zu schützen und selbst in allen Lebenslagen zu leben.

Schützende Gewalt ist für mich ein Teil dieses Weges.

Schützende Gewalt:
Schützende Gewalt, wenn sie als solche ankommt, führt häufig zu Verbindung, Verständnis, Klarheit und Sicherheit. Der andere weiß, dass an ihm nichts verkehrt ist und er sich nicht ändern braucht. Er weiß, dass ich ihn nicht verurteile und auch nicht für falsch halte, was er ist oder tut. Gleichzeitig stehe ich für meine Werte ein und setze sie durch, ohne den anderen für sein Verhalten zu verurteilen.

Oft ändern sich Menschen dadurch ebenfalls, weil ich offen für ihre Ansichten bin und gleichzeitig zeige, was mir wichtig ist. Ich setze mich nicht nur für meine Werte ein, sondern lebe sie dabei auch vor. Mir ist bspw. Wertschätzung wichtig und ich schütze mich auf wertschätzende Weise davor, wenn mir jemand nicht wertschätzend begegnet.

Wenn ich darauf vertrauen kann, dass ein anderer Mensch schützende Gewalt für sich nutzt, brauche ich keine Sorge haben, dass ich ihn belästige, nerve, überfordere oder verletze, denn ich weiß, wenn es so wäre, würde dieser Mensch gut für sich sorgen und sich schützen, ohne mich für mein Verhalten oder meine Wünsche zu verurteilen.

Im Falle des Direktors hätte er also eingegriffen und wäre zwischen die beiden Jungen gegangen. Er hätte dem Größeren gesagt, dass es ihm wichtig ist, dass sich alle sicher und wohl fühlen und dass er das Vertrauen braucht, dass alle in seiner Schule danach handeln. Dann hätte er geschaut, warum der Junge den kleineren schlägt und was es braucht, damit auch der stärkere Junge diesen Wert in der Schule leben kann. So hätte der größere Junge vorgelebt bekommen, wie man sich statt zu schlagen verhalten kann, wenn andere sich auf eine Weise verhalten, wie man es nicht möchte.

Das bedeutet für mich volle Integrität, da ich meine Werte lebe und schütze.

Die meiste Gewalt in der Welt entsteht durch ein Denken von richtig und falsch, gut und böse und darum, wer was verdient. Daher geht es in der GFK darum, diese Gedanken, die eben vor allem zu strafender Gewalt führen, zu hinterfragen und neue, ganzheitlichere Bewertungsmuster zu finden, die unserer komplexen, sich ständig im Wandel befindlichen Welt wesentlich eher gerecht werden als starres Schwarz-Weiß-Denken.

Das war’s mit der 2. Folge!

In der nächsten Folge gibt es den zweiten Teil der Haltung, in der es um einige Grundannahmen der GFK geht, die uns dabei hilft, dieses komplexe Bewertungsmuster zu entwickeln und immer mehr von starren Konzepten wie richtig, falsch, gut und schlecht loszulassen, um unsere Werte auf eine Weise zu leben, die andere nicht ausgrenzt oder verurteilt, wenn sie sich anders verhalten, als wir es uns wünschen.

Wenn du jetzt Lust bekommen hast, selbst einzusteigen und zu lernen, wie du den Umgang mit anderen Menschen erreichst, den du dir wünschst, dann besuche gerne ein Seminar von mir oder melde dich zu einem persönlichen Coaching an:

Es gibt viele Vorurteile und Fragen zum Thema GFK, die aufkommen, wenn man gerade anfängt, sich mit dem Thema zu beschäftigen. Einige davon habe ich in einem gesonderten Podcast behandelt. Schau doch mal rein: