Folge 1: Was ist Gewaltfreie Kommunikation?

Wie wollen wir, dass Menschen miteinander umgehen?

Bei der Gewaltfreien Kommunikation geht es um die Frage, wie es möglich ist, im Umgang mit anderen Menschen und auch in Konflikten die eigenen Werte zu leben, ohne sich selbst zurückzustellen, und einen Ausgang zu finden, der beide Seiten zufriedenstellt.

Dafür möchte ich dir eine Frage stellen: Wie möchtest du, dass Menschen mit dir umgehen? Oder wie möchtest du ganz grundsätzlich und auf die Menschheit bezogen, dass Individuen und Gruppen miteinander umgehen? Welche Werte sind dir in Interaktion mit anderen wichtig?

Überlege dir bitte jetzt mindestens drei Werte, dir die besonders am Herzen liegen, ehe du weiterliest, damit du eine Vorstellung von deinen eigenen Wertvorstellungen bekommst.

Werte im Umgang mit anderen

Mir ist es wichtig, dass Menschen mir respektvoll und wertschätzend begegnen, offen sind für meine Meinung, auch wenn sie sich von ihrer Meinung unterscheidet. Dass Menschen ehrlich sind und authentisch. Dass ich verstanden werde und eine Bereitschaft da ist, mich zu hören, meine Meinung ernst zu nehmen und sie zu verstehen, auch wenn man nicht einverstanden ist. Ich wünsche mir außerdem ein gewisses Interesse an mir als Mensch, als Individuum, an meinen Gefühlen und Wünschen, und dass ich berücksichtigt werde mit dem, was ich möchte. Dass ich gleichwertig und auf Augenhöhe mit anderen bin und auf wohlwollende Weise miteinander kooperiert wird.

Das sind so ein paar Dinge, die mir sehr wichtig sind und die vermutlich auch dir wichtig sind. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es Menschen auf der Welt gibt, die sagen „Respektvoll möchte ich nicht behandelt werden!“ oder „Ob ich grundsätzlich verstanden werde ist mir egal.“ (Es sei denn, wir haben unterschiedliche Begriffsdefinitionen von dem Wort).

Grundsätzlich bin ich fest davon überzeugt: Diese Werte im Umgang mit anderen Menschen teilen wir alle. Alle Menschen haben eine ähnliche oder gleiche Vorstellung davon, was ihnen wichtig ist im Umgang mit anderen. Wie genau sich dann in Handlungen umsetzt, das unterscheidet sich von Mensch zu Mensch, von Kultur zu Kultur, von Zeit zu Zeit usw. Das heißt: Wir teilen dieselben Werte und haben unterschiedliche Möglichkeiten, diese in unser Leben umzusetzen.

Das Paradoxon der ungelebten Werte

Jetzt ist es doch merkwürdig, dass wir alle diese Werte und Wünsche im Umgang miteinander haben, aber im Alltag – und ganz besonders in Konflikten – diese Werte so selten realisieren. Wenn jemand nicht meiner Meinung ist oder sich auf eine Weise verhält, die mir nicht gefällt, dann handle ich oft auf eine Art und Weise, die gar nicht meinen Werten entspricht und auch die Wahrscheinlichkeit verringert, dass der andere mir die gewünschte Art des Umgangs entgegenbringt.

Warum aber ist das so? Warum handeln wir so oft entgegen unserer Werte?
Die Antwort liegt für mich in der Art, wie wir zu denken und zu kommunizieren gelernt haben!

Wir haben ein Konfliktverhalten und eine Denkensweise gelernt, die uns nicht dabei hilft, mir unseren Werten in Kontakt zu kommen und sie zu leben! Stattdessen provoziert sie ein Gegeneinander, bei dem ein Kampf um die Oberhand entsteht.

Ein paar dieser alltäglichen Muster und Denkensweisen möchte ich dir aufzeigen:

Recht haben wollen ist eins davon. Ich will gewinnen und das heißt, der andere verliert. Meine Meinung ist richtig, seine falsch. Es gibt einen Gewinner und einen Verlierer und einen der richtig liegt, einen der falsch liegt. Einen der Schuld ist und Strafe verdient und einen, der Wiedergutmachung oder Belohnung verdient.

Ich stelle es mir so vor, als würden zwei Parteien auf je einer Seite einer Wippe sitzen. Mein Wunsch ist es, dass wir Gleichwertigkeit und Augenhöhe herstellen: Beide sind auf derselben Höhe und schauen sich geradeaus in die Augen. Denken wir in Kategorien wie Recht, Schuld, Falsch und Richtig, Gewinnen und Verlieren usw., dann kippt diese Wippe – der Kampf darum, wer oben ist, beginnt.

Schulzuweisungen, Vorwürfe, Angriffe usw. funktionieren nach genau demselben Prinzip. Auch Forderungen gehören dazu. Ich will etwas von einer anderen Person und eigentlich ist es mir egal, wie es ihr damit geht, ich will einfach nur, dass sie tut, was ich sage. Am liebsten natürlich mit einem Lächeln, aber wenn das nicht geht, ist widerwillig auch okay, solange sie nur tut, was ich will. Rücksichtnahme und Gleichwertigkeit sind nicht gegeben und auch hier entsteht ein Machtverhältnis, das die Balance der Augenhöhe kippen lässt.

Wir haben also gelernt, in einer Art und Weise zu denken, die ein Gleichgewicht auf der Wippe der Augenhöhe nicht hält, sondern einen Kampf ums „Obensein“ anzettelt, bei dem die andere Person fast unweigerlich mitmachen muss.

Wohin führt uns dieses gelernte Verhalten?

In Diskussionen folgt auf dieses Gegeneinander häufig eine Verhärtung der Sichtweisen. Nach dem Motto: Wenn ich zugestehe, dass der andere einen guten Punkt gebracht hat, kippt die Wippe bei mir nach unten und ich verliere. Deshalb muss ich umso härter dagegen argumentieren! Gegenangriff und Kampf sind oft Mittel der Wahl: Ich muss am Ende nur etwas besser dastehen als er, dann hab ich gewonnen.

Manche Menschen finden sich auch mit der unteren Position auf der Wippe ab. Das scheint dann erst mal gut für uns zu sein – wir haben schließlich gewonnen und der andere ist schuld! –, aber wir müssen ständig auf der Hut sein und dürfen keine Schwäche zeigen, denn sonst wird der andere vielleicht seine Chance nutzen und das Blatt wenden. Wenn es jemandem reicht, immer „unten“ zu sein, sind auch Reaktionen wie Abgrenzung und Rückzug zu erwarten. In der Metapher der Wippe könnte das so etwas sein wie dass derjenige die Wippe verlässt und wir aufgrund des fehlenden Gegengewichts auf dem Boden aufknallen.

Was auf jeden Fall nicht passiert, ist dass wir unsere Werte leben und der andere uns so begegnet, wie wir es bräuchten. Wir etablieren kein sicheres, vertrauensvolles Umfeld, in dem sich alle wohlfühlen und sich gegenseitig unterstützen. Im Gegenteil, es geht um Konkurrenz und jeder für sich. Diese Art der Sprache hängt in ihrer Extremform eng mit Krieg und einer unmenschlichen Leistungsgesellschaft zusammen. Sie erinnert sogar an Darwins „Survival of the fittest“, das Überleben der Stärksten.

Das aus meiner Sicht Traurigste an dieser Form des Umgangs ist, dass gerade wenn wir am dringendsten Liebe, Zuneigung, Zugehörigkeit oder Verständnis bräuchten, wir oft auf eine Weise kommunizieren, die es am unwahrscheinlichsten macht, dass unser Gegenüber uns genau das entgegenbringt: Wenn wir wirklich verzweifelt und emotional am Ende sind, schreien wir vielleicht Vorwürfe heraus, greifen den anderen an oder ziehen uns zurück, alles nur in der Hoffnung, er möge uns doch endlich sagen, dass wir in Ordnung sind, wie wir sind, und uns in den Arm nehmen. Wir verbauen uns mit unserer Art des Kommunizierens, das zu bekommen, was wir eigentlich brauchen und was uns wichtig ist.

Was brauchst du, um dein gelerntes Verhalten zu ändern und deinen Werten näher zu kommen?

1. Eine gehörige Portion Selbstreflexion. Das bedeutet, du brauchst die Fähigkeit, dir bewusst zu werden, wie du denkst und sprichst sowie dich selbst zu beobachten und zu prüfen, wie weit du bereits deine Werte lebst.

2. Du brauchst Klarheit, was du eigentlich willst und ob das, was du tust, dich dorthin führt. „Wer sein Ziel nicht kennt, für den ist kein Weg der richtige“

3. Die Fähigkeit, deine alten Muster, die du viele Jahre lang gelernt und gelebt hast, zu durchbrechen. Das ist oft nicht so einfach, weil das Gehirn die meiste Zeit im Autopilot läuft und 95% unbewusst ist.

4. Alternative Möglichkeiten, wie du handeln, sprechen und denken kannst, die dich deine Werten leben lässt. Freiheit gibt es nur, wenn du auch eine Wahl zwischen mindestens zwei Möglichkeiten hast.

Ich möchte dir eine Alternative aufzeigen. Eine Alternative zu Schulddenken, zum Drang nach dem Rechthaben, zum Einteilen in Richtig und Falsch, eine Alternativen zu Forderungen, die dafür sorgen, dass du auch ohne Druck bekommst, was du brauchst. Ich möchte dir eine Art des Sprechens und Denkens beibringen, die viel wahrscheinlicher dazu führt, dass du deine Werte lebst und im Umgang mit anderen bekommst, was du brauchst.

In der Gewaltfreien Kommunikation lernst du genau diese vier Aspekte, die du brauchst, um deinen Werten und Zielen näher zu kommen:

  • Du lernst, deine Sprache und dein Denken immer gründlicher zu reflektieren und zu beobachten,
  • wirst dir klar darüber, was du brauchst und wie du es bekommen kannst,
  • übst, deine alten Reiz-Reaktionsmuster auch in emotionalen Situationen zu pausieren und zu durchbrechen
  • und schließlich bekommst du eine neue Möglichkeit, wie du denken, sprechen und handeln kannst, die in Einklang mit deinen Werten steht und dich wahrscheinlich zu dem führt, was du brauchst und willst.

Gewaltfreie Kommunikation – mehr als „nur“ Sprache

Um alle vier Aspekte, die du brauchst, um deine alten Muster zu erkennen, zu durchbrechen und zu verwandeln, wirklich nachhaltig zu lernen, handelt es sich bei GFK nicht „nur“ um eine Sprache, sondern es gibt es zwei Seiten, die sich gegenseitig unzertrennlich ergänzen und stützen: die Sprache und die Haltung.

Die sprachliche Form besteht aus vier Schritten, die mit Grundunterscheidungen einhergehen und die dir dabei helfen, in jeder Situation zu reflektieren, was gerade passiert, was du möchtest und was du tun kannst, um deine Werte zu leben und zu bekommen, was du brauchst.

Die Haltung besteht aus einer bestimmten Art, Menschen und die Welt zu betrachten, und speziellen Glaubenssätzen, also Grundannahmen, die man im Umgang mit anderen voraussetzt und die dazu beitragen, dass man offen und wertschätzend bleiben kann,  auch wenn Menschen nicht so handeln, wie man es gerne hätte. 

In der GFK gehen die beiden Seiten Hand in Hand!

Die sprachliche Form ohne die Haltung zu „benutzen“ wäre Manipulation und wirkt auf Menschen irritierend. Als ich gerade mit GFK begonnen habe, habe ich schmerzlich festgestellt, dass mechanisches „Anwenden“ der Sprache auf andere sehr abschreckend wirkt. Wenn wir zwar etwas GFK-Konformes sagen wie „Ich bin traurig und wünsche mir Verständnis.“, aber gleichzeitig denken „Und du hast mir kein Verständnis gegeben, deshalb bist du Schuld, dass es mir jetzt schlecht geht!“, dann wird der zweite Teil ebenfalls ankommen.

Nur ein geringer Prozentanteil der Kommunikation wird durch die Worte bestimmt, die wir sagen. Kurzum: Menschen merken in der Regel, wenn das Gesagte nicht mit der Haltung übereinstimmt.

Gleichzeitig ist die Sprache wichtig, um die Haltung ausdrücken zu können. Wenn ich auf eine Weise zu kommunizieren gelernt habe, die gar nicht meiner GFK-Haltung entspricht, dann wird es schwierig, die Haltung wirklich zu vermitteln. Außerdem hilft die Sprache dabei, mir selbst klar zu werden und der Haltung näher zu kommen.

Zuhören mit GFK

Auch Zuhören spielt eine wesentliche Rolle in der GFK. Wie du sicherlich bereits weißt, kann ein und dieselbe Botschaft von verschiedenen Menschen völlig unterschiedlich aufgenommen werden – zusätzlich dazu, wie dann die Bewertung des Gehörten ausfällt. Ich veranschauliche dir das mal an einem Beispiel:

Kollege Paul sagt: „Du siehst heute aber schick aus!“

Anton hört Oberflächlichkeit und wird ärgerlich: „Immer werde ich nur auf mein Äußeres reduziert!“
Nina hört Ironie dahinter und ist irritiert und verärgert: „Macht der sich gerade über mich lustig?!“
Andreas hört einen versteckten Vorwurf und schämt sich: „Sonst sehe ich nicht gut aus?!“
Martha hört ein Kompliment und freut sich: „Oh, das ist aber nett!“
Elisa hört ein Kompliment und schämt sich: „Oh je, wie soll ich denn jetzt reagieren?!“
Alex hört einen Flirt und ist genervt: „Oh je, der steht auf mich!“
Barbara hört einen Flirt und ist erfreut: „Oho, der steht auf mich!“
Estell hört eine Schmeichelei zum eigenen Vorteil und ist angespannt: „Wenn der schon so kommt, will er doch bestimmt was!“
Ole hört einen Versuch nach Kontakt: „Vielleicht möchte er ein bisschen plaudern?“
usw.

In der GFK lernst du, auf eine Weise zuzuhören, die nicht beschönigt, was da ist, sondern eine Botschaft hinter allem hört, die dir hilft, deine Werte zu leben und mit deinem Gegenüber in wertschätzenden Kontakt zu treten – egal ob er gerade ein Kompliment macht oder einen Vorwurf.

Das war’s mit der 1. Folge!

Hinterlass mir gerne einen Kommentar, wie dir dieser Blogartikel gefallen hat, welche Fragen oder Anregungen du hast und teile ihn auch gerne mit FreundInnen! Es gibt die Blogartikelreihe Einführung in die Gewaltfreie Kommunikation auch als Podcastreige – für Menschen, die lieber hören statt zu lesen!

In Folge 2 geht es um die sprachliche Komponente der Gewaltfreien Kommunikation, also die vier Schritte mitsamt ihren Grundunterscheidungen!

Wenn du jetzt Lust bekommen hast, selbst einzusteigen und zu lernen, wie du den Umgang mit anderen Menschen erreichst, den du dir wünschst, dann besuche gerne ein Seminar von mir oder melde dich zu einem persönlichen Coaching an:

Es gibt viele Vorurteile und Fragen zum Thema GFK, die aufkommen, wenn man gerade anfängt, sich mit dem Thema zu beschäftigen. Einige davon habe ich in einem gesonderten Blogartikel behandelt. Schau doch mal rein: