Q&A (1): Rhetoriktraining, Regelwerk und freundlich sein? – Was ist Gewaltfreie Kommunikation?

Was ist Gewaltfreie Kommunikation (GFK) eigentlich? Wenn Menschen davon hören, denken sie manchmal an so etwas wie ein Rhetorik-Training oder daran, dass man sich dabei zurücknehmen und freundlich sein muss. Manche denken, dass man klare Regeln lernt, wie man richtig spricht oder welche Worte oder Formulierungen man verwenden darf und welche nicht. Hier kläre ich ein paar der häufigsten Vorurteile auf, die einige Menschen haben, wenn sie von GFK hören.

Ist GFK so etwas wie ein Rhetoriktraining?

Nein, es geht in der GFK nicht um Rhetorik. Wenn wir nur bestimmte Worte benutzen und andere weglassen, sind das äußerliche Schönheitskorrekturen, die nichts mit GFK am Hut haben. Es geht auch nicht primär um die Worte, die du verwendest oder nicht verwendest. Es geht viel eher um deine Haltung, deine Sichtweise, deine Einstellung. Mit der GFK lernst du eine andere Art kennen, Konflikte und sonstige Situationen zu betrachten und kannst damit beeinflussen, wie es dir damit geht, was du darüber denkst und wie du dich daraufhin verhältst.

Bekommt man bei der GFK ein Regelwerk?

Nein. Du bekommst kein Regelwerk und dir wird auch nicht gesagt, wie du sprechen „sollst“ oder gar „musst“. Dir wird nicht beigebracht, wie man „richtig“ spricht oder welche „Fehler“ du machst. Es geht nicht darum, dass du lernst, was „gutes“ und was „schlechtes“ Sprechen ist und einfach stur Regeln befolgen sollst, damit alles anders wird.

Was du hier lernst ist, deine eigene Sprache und deine Haltung im Gespräch zu reflektieren und dir klar zu werden, wie du mit anderen und dir selbst sprichst. Du erfährst, wie verschiedene Arten des Sprechens auf Menschen wirken und du bekommst neue Möglichkeiten, dich auszudrücken und die Welt zu betrachten. Du erweiterst also dein Repertoire des Denkens und Sprechens und erfährst, was wahrscheinlich welche Wirkung mit sich bringt. Auf Basis dieses Wirkungsbewusstseins und mit deinem erweiterten Repertoire kannst du dann immer öfter entscheiden, wie du handeln, denken und sprechen magst.

Ein Beispiel: Einem Kind einen Befehl zu geben und mit Strafe zu drohen, wenn es deinen Willen nicht befolgt, hat die Wirkung, dass es vermutlich tut, was du ihm sagst. Die Beziehung zwischen euch, das Vertrauen des Kindes in dich, seine Sicherheit und sein Selbstwert leiden gleichzeitig wahrscheinlich darunter – das ist der Preis, den du für sofortigen Gehorsam zahlst. Wenn dir aber in dem Moment das Wichtigste ist, dass dein Kind jetzt sofort genau das tut, was du verlangst, dann ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass du es mit dem Mittel des Drohens erreichen kannst.

Wenn du aber magst, dass die Verbindung dabei bestehen bleibt und sowohl Sicherheit als auch Selbstwert des Kindes gestärkt werden, ist eine offene Haltung und Verständnis für dein Kind vermutlich der Weg, der eher zum gewünschten Ergebnis führen wird. Der Preis, den du hier zahlst ist, von deinem Willen möglicherweise etwas abzuweichen und dir die Zeit zu nehmen, dich mit dem Kind und seinen Wünschen zu befassen.

Wie du siehst, geht es hier nicht darum, was gutes und was schlechtes Verhalten ist. Es geht darum, was du erreichen magst und welcher Weg dich am ehesten dort hinführt.

Viele Menschen sind sich nicht bewusst, dass ihr Umgang mit anderen sehr wahrscheinlich nicht zu ihrem gewünschten Ergebnis führt, zum Beispiel der Vater, der das Kind regelmäßig anschreit oder schlägt und strengen Gehorsam fordert, weil er sich Respekt wünscht. Gehorsam kann er durch Strafen vielleicht eine Zeit lang erreichen, doch Respekt wohl kaum. Das Kind wird Angst vor dem Vater haben und die Verbindung wird nach und nach immer schlechter werden. Sobald das Kind in der Lage ist zu reflektieren, wird es vielleicht sogar eher Verachtung, Hass oder Enttäuschung für den Vater empfinden. Daher ist angesichts dessen, was der Vater erreichen will, seine Strategie nicht zielführend.

Also wirst du in der GFK nicht lernen, Regeln zu folgen oder bestimmt Worte zu verwenden, sondern du wirst lernen, welche Haltung und welcher Umgang welche Folgen mit sich bringen, welche anderen Möglichkeiten als deine bisherigen es noch gibt und wie du ganz bewusst entscheiden kannst, was du erreichen und wie du daraufhin handeln möchtest. 

Muss man bei der GFK dann immer freundlich sein und sich zurücknehmen, ohne böse Worte, ohne laut zu werden?

Ganz klar ist: du darfst alles und musst nichts! Ich werde dir nicht sagen, wie du zu sprechen oder zu handeln hast und ich werde nicht bewerten, was richtig und was falsch ist. GFK ist nur eine Erweiterung deiner Möglichkeiten und du lernst, dir klar darüber zu werden, welche Reaktion wahrscheinlich welche Wirkung mit sich bringt. GFK zu lernen heißt nicht, dass du dann nur noch GFK sprechen „darfst“ oder alles andere „schlecht“ ist. GFK ist nur eine neue Möglichkeit. Schreien, ausrasten, „böse Worte“ sagen, das kannst du wahrscheinlich alles schon. Bei GFK lernst du andere Wege kennen. Wann und ob du sie dann gehst, ist dir überlassen!

Auch wenn du dich für GFK entscheidest, musst du nicht „freundlich“ sein und dich schon gar nicht zurücknehmen oder immer Kompromisse eingehen. Du lernst viel eher, dich vollständiger auszudrücken. Oftmals schreien wir anderen im Konflikten nur unsere Urteile, Übertreibungen oder Schuldzuweisungen an den Kopf. Was aber wirklich in uns vor sich geht, bleibt verborgen. Unsere Gefühle, unsere Bedürfnisse, unser Schmerz verstecken sich unter scheinbar sachlichen Argumenten und der Schuldfrage. In der GFK geht es darum, dass wir die Klarheit darüber bekommen, was wirklich gerade los ist und damit die Chance haben, das auszusprechen und dem anderen auf eine Weise mitzuteilen, die es ihm leichter macht, mich verstehen und hören zu wollen.

Ja, ich empfehle in der GFK, sich erst einmal mit der Reaktion zurückzuhalten, vor allem, wenn ich wütend bin und dem anderen ein Urteile, Vorwürfe oder Schuldzuweisungen an den Kopf werfen würde. Nicht, weil das falsch oder schlecht oder verboten ist, sondern weil ich glaube, dass es nicht das bringt, was wir uns gerade wirklich wünschen. Ich glaube, unreflektiert die ersten Vorwürfe und Gedanken rauszubrüllen, die mir einfallen, führt selten zu dem, was ich eigentlich erreichen will: gehört werden, Verständnis, Empathie, dass der andere Lust hat, mich zu unterstützen, auf mich Rücksicht nimmt, mir Liebe entgegenbringt usw.

Wenn wir immer nach alten Mustern handeln, kommen wahrscheinlich immer wieder dieselben alten Reaktionen dabei raus. Das kennen wir ja schon. Wenn wir aber wollen, dass sich was ändert, können wir hier ansetzen.

In der GFK geht es darum, mir erst einmal die Möglichkeit zu verschaffen, mich bewusst für ein Verhalten zu entscheiden. Das heißt, ich reagiere nicht unbewusst nach meinen alten, üblichen Verhaltensweisen, sondern ich entschleunige und entscheide dann mit Klarheit und Bewusstsein darüber, wie ich angesichts dessen, was ich gerade erreichen will, handeln und sprechen möchte.

Und selbst wenn wir uns völlig gewaltfrei ausdrücken, hat das nichts mit Freundlichkeit oder Ruhe zu tun. Wenn wir gerade total aufgebracht sind, können wir auch mit GFK schreien, nur schreien wir dann statt Vorwürfen oder Urteilen unsere Gefühle und Bedürfnisse raus. Statt „GEHT’S EIGENTLICH NOCH?! KÖNNT IHR NICHT EINMAL RUHIG SEIN?! IHR SEID ECHT UNMÖGLICH!“ schreie ich dann so was wie: „MIR IST GERADE ALLES ZU VIEL!! ICH KANN NICHT MEHR! ICH BRAUCH JETZT UNBEDINGT MEINE RUHE!“ Wir versuchen nicht, freundlich zu sein oder etwas schönzureden. Viel eher drücken wir authentisch aus, was wirklich gerade in mir ist – der Fokus ist dabei allerdings im Bauch und im Herzen (Gefühle und Bedürfnisse) und nicht im Kopf (Urteile, wer ist schuld, richtig und falsch, Vorwürfe und Argumente).

Außerdem lerne ich mit GFK, immer mehr selbst die Verantwortung für mich und meine Gefühle und Bedürfnisse zu übernehmen, anstatt sie dem anderen zu geben, indem ich erwarte, dass er jetzt sofort meine Gefühle „verbessert“ und meine Bedürfnisse erfüllt.

Ist es wichtig, immer in den vier Schritten zu sprechen?

Die GFK basiert sprachlich auf den vier Schritten: Wahrnehmung, Gefühl, Bedürfnis und Bitte. Jedoch geht es niemals darum, dass du diese einfach „befolgst“ oder „abarbeitest“. Wenn du dir die vier Schritte bewusst machst, hilft dir das einfach nur, mehr Klarheit über dich zu bekommen und bringt dich näher an das ran, was dir gerade wirklich wichtig ist. Sie helfen dir, in eine andere Haltung zu kommen.

Ganz konkret: In den meisten Konfliktsituationen denken wir, dass der andere etwas falsch gemacht hat, unfair war und schuld ist an unseren Gefühlen. Mit den vier Schritten der GFK fokussieren wir uns nicht auf unsere vernichtenden Urteile, sondern auf das, was tief in uns vor sich geht – was fühlen wir, was brauchen wir? Wir übernehmen Verantwortung für unsere Gefühle und verstehen besser, worum es uns eigentlich gerade geht, weil wir unsere Bedürfnisse kennenlernen. Wir sind mit unseren Werten in Kontakt und nicht mit dem, was der andere „verbockt hat“.

Wenn ich mich darauf konzentriere, was der anderen alles falsch gemacht hat und wie unfair er doch war und wer alles Schuld an der Sache hat, führt das wahrscheinlich dazu, dass der andere in eine Gegenagriffsposition geht – oder in Schuld- und Schamgefühle, die ihn lähmen und schwächen, sodass kaum Kraft übrig bleibt, um jetzt dafür zu sorgen, dass sich die Situation für alle verschönert.

Mit GFK würde das anders laufen: Ich mache mir vor meiner Reaktion die vier Schritte bewusst und komme bestenfalls dahinter, worum es mir gerade wirklich geht. Dann kann ich die vier Schritte oder Teile davon ausdrücken und konzentriere mich darauf, was ich gerade fühle und brauche und was der andere konkret beitragen kann. Das wird sehr wahrscheinlich zu mehr Kooperationsbereitschaft, Verständnis und der Erfüllung meiner Bedürfnisse führen.

Außerdem kann ich die vier Schritte auch beim Zuhören nutzen, um den anderen wirklich zu verstehen.

Ist GFK dann also eine bestimmte Art, sich auszudrücken?

Ich würde sagen, GFK ist eine wertschätzende Haltung, die mit sprachlichen Bestandteilen erreicht und ausgedrückt werden kann. Allerdings gibt es in der GFK nicht nur den Aspekt des Ausdrückens, sondern auch noch den des Zuhörens – klar, zum Gespräch gehört ja immer beides! Auch das kann mithilfe der GFK ganz anders geschehen, als wir es oftmals, gerade in Konflikten, gewohnt sind. Es basiert auf Verständnis, Empathie und Augenhöhe.

Was ist GFK also kurz zusammengefasst?

GFK ist eine Haltung und Sichtweise auf die Welt, die mit bestimmten sprachlichen Bestandteilen (den vier Schritten) verstärkt und ausgedrückt werden kann. Sie fokussiert sich auf Gefühle und Bedürfnisse und hat das Ziel, eine wertschätzende Verbindung zwischen Menschen zu erreichen. Wenn du GFK lernst, lernst du vor allem Folgendes: 

– eine neue, konstruktive Art des Denkens und Sprechens.
– dich selbst besser zu verstehen und zu erkennen, was du wirklich brauchst.
– ein größeres Bewusstsein dafür, welche Handlungen und welche Sprache
wahrscheinlich welche Wirkungen nach sich ziehen.
– eine größere Freiheit, dich aufgrund deiner eigenen Werte und Wünsche
für eine Reaktion zu entscheiden, anstatt in deinen alten Mustern
festzuhängen.
– auf andere Weise zuzuhören, andere Menschen besser zu verstehen und,
wenn du willst, in eine tiefere Verbindung zu kommen. 

Hast du weitere Assoziationen, Vorurteile oder Fragen zum Thema GFK? Dann schreib sie gerne in die Kommentare und ich nehme sie in die nächsten FAQs mit auf!

Wenn du jetzt Interesse hast, dich mit GFK zu beschäftigen, dann besuche gerne eines meiner Seminare :

Hier habe ich dir noch andere Möglichkeiten aufgelistet, dich mit GFK zu beschäftigen:

2 Antworten auf „Q&A (1): Rhetoriktraining, Regelwerk und freundlich sein? – Was ist Gewaltfreie Kommunikation?“

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