Ein Tag voller Schuld im Leben einer Mutter

Es ist ein ganz normaler Morgen. Ich habe Kopfschmerzen, so wie häufiger mal in letzter Zeit. Statt von meinem Wecker, für den ich mir extra einen angenehm sanften Klingelton eingestellt habe, werde ich von meiner Vierjährigen geweckt. Sie reißt die Türe auf und weint. Dieses Geschrei am frühen Morgen, unerträglich. Warum kann sie sich nicht einmal zusammenreißen? Manchmal wünschte ich, ich wäre einfach allein auf einer Südseeinsel und würde mir von der Sonne den Bauch bräunen lassen. Stattdessen liege ich hier und muss mir das vermutlich völlig unnötige Geheule meiner Tochter anhören, noch ehe ich den ersten bewussten Atemzug getan habe.

Ein unangenehmes Kribbeln schleicht meinen Rücken hinauf, erzeugt Verspannungen im Nacken. Da ist er wieder. Er tippt mir auf die Schulter und drückt meinen Magen zusammen, sodass sich langsam aber sicher Übelkeit einstellt. Hallo, Schuldschatten. Ja, du hast recht. Ich darf so etwas nicht denken. Mein Kind weint und ich Rabenmutter denke nur an mich. Als gute Mutter hat man schließlich für sein Kind da zu sein. Ich habe mich entschieden, Kinder zu kriegen, da muss ich dann auch mit den Konsequenzen leben.

„Was ist denn, Schatz?“, frage ich wie eine gute Mutter, nur in leicht genervtem Ton.

Als Antwort bekomme ich einen Schrei und noch mehr Geheule. Ich seufze und reiße mich zusammen, stehe auf und nehme mein Kind in den Arm. Ich kriege raus, dass sie vor lauter Übermut beim Spielen ihr Lieblingsspielpferd zu fest auf den Boden geschlagen hat, sodass ihm ein Bein ausgefallen ist. Ich seufze erneut. Wenn der Tag schon so losgeht, kann es nur besser werden.

Und ich sollte recht behalten: beim Frühstück ist Maja immer noch knatschig, obwohl ich ihr Pferd repariert habe, und manscht in ihrem Müsli herum, bis der halbe Tisch vollgesaut ist.

„Maja! Iss anständig!“, sage ich in lautem, bestimmten Ton, um ihr zu zeigen, dass ich nicht zufrieden mit ihrem Verhalten bin. Sie scheint die Botschaft nicht bekommen zu haben und macht weiter.

„Maja, es reicht! Hör auf, mit deinem Essen rumzuspielen!“

Die Kopfschmerzen melden sich wieder. Maja hört kurz auf, doch nach wenigen Momenten geht es wieder los. Das Klappern ihres Löffels, die Sauerei auf dem Tisch – und natürlich fällt ihr vor lauter Übermut die Schüssel runter und das restliche Müsli ergießt sich auf den Boden.

„Sag mal, geht’s noch?! Kannst du dich nicht einmal anständig benehmen?! Wie oft hab ich dir schon gesagt, dass du vernünftig essen sollst?! Mir reicht’s, dann gibt’s halt kein Frühstück!“

In der ersten Schrecksekunde starrt Maja mich mit ihren großen, haselnussbraunen Augen an. Dann heult sie los und das Gezeter beginnt von vorne. Ich schaffe es wie immer, den Morgen rumzukriegen und Maja irgendwie in neue Klamotten und anschließend in den Kindergarten zu packen – ohne anständiges Frühstück.

Auf dem Heimweg atme ich das erste Mal etwas durch und spüre wieder die Kopfschmerzen. Die Brust wird mir eng. Mein Schuldschatten hält mich in seiner festen Umarmung.

Ist das die Mutter, die du sein möchtest?, fragt er hämisch.

Natürlich nicht, denke ich. Aber was soll ich denn machen? Sie kann auch ein echter Quälgeist sein. Oh oh oh. Darf eine Mutter so was über ihr Kind denken?, spottet er und piekt mich mit seinen langen, spitzen Fingern in den Magen.

„Aber sie ist vier, in dem Alter kann man doch erwarten …“, setze ich an, doch er unterbricht: Das arme Kind! In den Kindergarten abgeschoben, wo andere sich mit ihrer Laune rumschlagen können! Und dann noch ohne Frühstück! Du bist wirklich eine ganz tolle Mutter! Wenn die anderen wüssten, wie du mit deinem Kind umgehst! Was würde dein Mann dazu sagen? Mit einer schleichenden Bewegung legt er mir seine Hände um meinen Hals und das Schlucken fällt schwer.

Du hast recht, ich hätte nicht gleich schreien dürfen. Sie hatte auch einen schlechten Morgen. Und dann habe ich sie noch angeschrien und mit leerem Magen im Kindergarten abgeliefert, ohne die Situation zu klären. Sie hat zwar irgendwann aufgehört zu schreien, aber sicherlich ist sie noch immer traurig und enttäuscht. Vielleicht hat sie sogar Angst davor, wenn ich sie nachher abhole, dass es noch mehr Ärger gibt oder ich noch sauer bin. Was für ein scheiß Morgen.

Ich fühle mich den ganzen Tag schlecht, denn mein Schuldschatten begleitet mich überall hin. Er stützt sich auf meinen Schultern ab, hält mich in seinen unnachgiebigen Armen fest und raubt mir die Kraft. Er macht mir klar, dass ich mich falsch verhalten habe, eine schlechte Mutter bin und das irgendwie wiedergutmachen muss. Ich beschließe, nachher ganz besonders nett zu Maja zu sein und mir viel Zeit für sie zu nehmen. Das besänftigt den Schuldschatten zunächst, aber er beobachtet mich weiterhin mir Argusaugen – bereit, mein Verhalten jederzeit zu verurteilen.

Als ich sie dann abhole, halte ich mich an mein Vorhaben. Ich bin zwar schrecklich genervt und würde mich am liebsten hinlegen, weil mich meine Kopfschmerzen so belasten, aber ich lächle und spiele mit ihr Ritter und Prinzessin. Immer wieder, wenn ich daran denke, dass ich mich hinlegen will, steht mein Schuldschatten ganz dicht hinter mir und haucht mir ins Ohr: Du hast ihr weh getan! Das musst du wiedergutmachen! Also hör auf, egoistisch zu sein und reiß dich zusammen!

Maja ist quengelig, obwohl ich mich mit einem Lächeln mit ihr beschäftige. Sie wird immer aufgedrehter, auch nachdem ich ihr sage, dass sie bitte etwas leiser und ruhiger sein soll. Mein Stresspegel steigt. Als sie mir dann auf den Rücken springt, platzt es aus mir heraus:

„Aua, verdammt! Schluss jetzt! Geh in dein Zimmer und sei endlich ruhig!“

Sie rennt heulend davon und knallt die Türe ihres Zimmers. Ich verziehe mich ins Schlafzimmer und lege mich ins Bett. Das hat ja super geklappt. Während ich versuche, mich zu beruhigen, legt sich mein Schuldschatten auf mich und drückt mich nieder, sagt mir, was er von mir hält. Wie kannst du dem Kind so was antun? Das arme Mädchen, hörst du es denn nicht weinen? Du Rabenmutter, du Egoistin! Du bist verachtenswert! Du kriegst doch wirklich gar nichts hin, nicht mal den ganz normalen Alltag! Jetzt versinkst du in Selbstmitleid, während dein Kind dich eigentlich bräuchte! … Nutzlos … Wertlos … Unfähig …

Ich höre, wie mein Mann Christoph endlich von seinem zweitägigen Seminar zurückkehrt, denn sein Schlüssel klappert in der Schlüsselschale. Er muss hören, dass Maja in ihrem Zimmer weint.

Was wird er jetzt über dich denken? Er wird merken, was für eine schlechte, egoistische Mutter du bist! Und er hat auch recht damit!

Christoph scheint erst zu Maja zu gehen, denn ich höre sie nicht mehr schreien. Während er sie offenbar beruhigt, startet der Schuldschatten einen Film in meinem Kopfkino. Die Vorstellung beginnt, während ich gefesselt an meinen Sitz auf die Kinoleinwand starre.

Christoph kommt rein und wirft entsetzt die Hände in die Luft: „Sag mal, was ist denn hier los? Maja heult da in ihrem Zimmer und ist total aufgelöst und du liegst hier und kümmerst dich nicht?“ Ich fange an zu weinen und verkrieche mich unter meiner Decke. Das macht meinen Mann umso wütender. „Hallo!! Ich rede mit dir!“ Ich stottere eine Erklärung, aber Christoph hört nicht zu. „Da bin ich mal zwei Tage nicht da und es bricht die Hölle los, oder was? Als Mutter musst du dich zusammenreißen und für dein Kind da sein! Wie gehst du denn bitte mit unserem Kind um?! Geht’s eigentlich noch?! Dich kann man nicht einmal mit dem Kind alleine lassen! Ich glaub’s nicht, was ist bloß verkehrt bei dir?! Kriegst du denn gar nichts auf die Reihe?!“

Als ich Schritte zum Schlafzimmer höre, widerstehe ich dem Drang, mich unter der Decke zu verstecken und wappne mich für den harten Kampf. Doch statt einer Salve aus Vorwürfen und Schuldzuweisungen erwartet mich ein zärtlicher Blick und eine liebevolle Umarmung ohne Worte. Ich traue dem Frieden nicht und frage mich, was das soll. Christoph feuert auch nach der Umarmung nicht los, sondern setzt sich neben mich auf das Bett und fragt:  

„Hattest du einen harten Tag?“ Sein Gesicht und seine Stimmlage versichern mir, dass er bereit ist, mir zuzuhören und mich nicht fertigmachen wird. Verwundert und dankbar erzähle ich ihm von allem, was passiert ist und er hört einfach nur zu. Ich sage ihm, was ich über mein Verhalten denke und was der Schuldschatten, der noch immer schwer auf mir liegt, mir ständig zuflüstert. Es fließen auch ein paar Tränen, aber ich halte mich zurück, denn der Schuldschatten verurteilt mich: Du bist hier nicht das Opfer, sondern deine arme Tochter! Also spiel dich bloß nicht auf! Du Jammerlappen, echt erbärmlich!

Als ich fertig bin, fragt mich mein Mann mit warmer Herzlichkeit: „Hört sich an, als wärst du echt gestresst und hättest einfach ein bisschen Ruhe und Zeit für dich gebraucht, um dich von deinen Kopfschmerzen zu erholen …“

„Ja!“, platzt es aus mir heraus, aber nach einem Moment der Stille füge ich hinzu, was mir mein Schuldschatten eingetrichtert hat: „Aber ich das geht halt nicht, wenn man eine Vierjährige zuhause hat!“

Er fragt: „Du möchtest auch auf Maja Rücksicht nehmen und für sie da sein?“

Ich nicke. „Ja, und sie kann ja auch nichts dafür, dass ich so Kopfweh habe!“

Christoph nimmt mich wieder in den Arm. „Du bist ganz schön traurig, weil du sie angeschrien hast und wünschst dir, dass du liebevoll mit ihr umgehen kannst, auch wenn du gestresst bist, oder?“

Der Schuldschatten scheint jetzt leichter zu werden und ist für den Moment ganz still.  

Zum ersten Mal heute frei von den Urteilen des Schuldschattens über mich überkommt mich die Traurigkeit und die Tränen sprudeln nur so aus mir heraus. Ja, Rücksicht und die Liebe zu meiner Tochter! Das ist mir so wichtig! Da hat er es auf den Punkt getroffen.

Er lässt mich weinen, dann sagt er: „Als du geschrien hast, warst du ganz schön hilflos und gestresst?“

Mit jeder warmen, sanften Träne und jedem Wort des liebevollen Verständnisses wird die Schuld etwas leichter, bis sie schließlich schleichend von mir ablässt und sich von mir entfernt. Ich spüre eine Spur von Erleichterung und starkes Bedauern, dass es so gelaufen ist.

„Ja, ich hatte solche Kopfschmerzen und wollte einfach nicht noch mehr Stress!“, sage ich leise schluchzend und drücke mich fester an Christoph. Er hält mich und hört mir noch eine Weile weiter zu, fragt nach und zeigt mir sein Verständnis. Ich weine mich aus und fühle mich so verstanden wie noch nie. Auch die Kopfschmerzen sind weniger geworden. Mein Schuldschatten bleibt mir erst einmal fern, auch wenn ich sehe, wie er immer wieder seine Hände ausstreckt und nach mir greifen möchte. Durch Christophs Reaktion bin ich jetzt erst einmal sicher vor der dunklen Gestalt.

Nun, da es mir besser geht, frage ich meinen Mann, wie er so liebevoll reagieren konnte, obwohl ich eigentlich Wut von ihm erwartet hatte. Er berichtet von seiner zweitägigen Fortbildung, in der es um “Gewaltfreie Kommunikation” ging. Während er mir erzählt, was das ist, mir berichtet, was sich für ihn geändert hat und mir auch erklärt, wie ich nun vorgehen kann, lugt Maja vorsichtig zur Türe hinein. Ich probiere gleich aus, was er mir gesagt hat und bitte Maja zu mir. Sie klettert skeptisch aufs Bett und bleibt abseits von mir sitzen. Mit ihren verheulten kleinen Äuglein starrt sie mich an und die Schuld kommt ein Stück näher, berührt mich kurz mit ihren kalten Fingern.

Ich nehme die Hand meiner Tochter und sage: „Maja, als wir da vorhin gespielt haben, da hatte ich ganz dolle Kopfweh. Und weißt du, ich hab nichts gesagt und weitergespielt, weil ich dir so gerne zeigen wollte, dass ich dich lieb hab. Und als du dann auf meinen Rücken gesprungen bist, da hat mein Kopf einmal so richtig weh getan. Das war, wo ich dann geschrien habe. Und jetzt wünsch ich mir, ich hätte dir das anders gesagt, weil ich möchte, dass wir alle lieb und freundlich miteinander umgehen.“

Bei meinen Worten kommen mir wieder die Tränen und ich merke, wie sehr ich es bedaure, sie angeschrien zu haben und vor lauter Schuld und Wut nicht einfach gesagt habe, was ich brauche. Ich liebe mein Kind, aber die Schuld hat nicht dazu beigetragen, mich ihr gegenüber liebevoller zu verhalten. Stattdessen hat dieser Schatten mich den ganzen Tag geschwächt und nur zu noch mehr Leid beigetragen.

Ich sehe zu ihm hinüber und weiß, dass er mich darauf aufmerksam gemacht hat, was mir wichtig ist. Dafür bin ich ihm dankbar. Aber jetzt brauche ich ihn nicht mehr und sehe zu, wie er sich in weißen Rauch auflöst.

Ich blicke zu Maja und erwarte, dass sie kein Wort verstanden hat. Solch eine Reaktion ist sie von mir schließlich nicht gewöhnt. Sie scheint zu überlegen, dann klettert sie näher an mich heran und kuschelt sich an mich. Sie sieht mich mit ihren haselnussbraunen Äuglein an und sagt:

„Mama, wenn du wieder Kopfweh hast, dann spiel ich lieber alleine.“

Das klingt zu schön, um wahr zu sein? Ich weiß, das tut es.

Ich habe selbst erfahren, wie sehr die Schwere der Schuld mich lähmt, mich handlungsunfähig macht und mich von Lösungen oder Entscheidungen abhält, mit denen ich glücklich bin.

Und ich habe gelernt, wie ich Schuld ver­wandeln kann und welche Kraft entsteht, wenn ich statt­dessen mit meinen Bedürfnissen in Kontakt bin! Wenn ihr wissen wollt, wie das geht und was ihr tun könnt, um das zu lernen, lasst doch einen 
Kommentar da und ich schreibe euch mal einen Blog dazu!

Je nachdem, worauf wir unsere Aufmerksamkeit richten, wird es leichter oder schwerer, Wut, Schuld und Scham zu handhaben. Wir können frei wählen, welche Perspektive wir einnehmen wollen. – Liv Larsson

Diesen Text habe ich für Tassilo Peters geschrieben, der in seinem Onlinekurs zur GFK zeigt, wie man – besonders als Eltern – aus solchen Alltagsfallen rauskommt!

Hier kommst du zu meinen Angeboten um selbst GFK zu erlernen:

2 Antworten auf „Ein Tag voller Schuld im Leben einer Mutter“

  1. Hallo liebe suki, ich mußte bei diesem Beitrag Rotz und Wasser heulen, es trift es sooo sehr. Ich würde meine chrisi so gerne auf so ein Seminar schicken. Nur ich glaube ich muß da erst bei mir anfangen. Ich arbeite stark daran. Allerdings ist man im Alltag so gelehmt und in seinen alten Verhaltensmuster gefangen. Wirklich tolle Seite ???

    1. Liebe Melli,
      vielen Dank für deinen lieben und ehrlichen Kommentar! Ich freue mich sehr, dass dich mein Text berührt hat! Ich finde es stark, dass du an dir selbst arbeiten möchtest – Eigenverantwortung zu übernehmen ist ein schwerer und wichtiger Schritt zur Veränderung und ich freue mich jedes Mal, wenn Menschen ihn wagen, weil ich weiß, wie sehr es sich lohnt – für dich und die Kids. Es kostet viel Kraft, alte Verhaltens- und Gedankenmuster in konstruktivere zu verwandeln. Sag bescheid, wenn du Unterstützung brauchst – in einer konkreten Situation oder auch in Form von Empathie und Zuhören!

      Für mich ist Gewaltfreie Kommunikation der Weg, den ich dir wirklich ans Herz legen kann, weil ich merke, wie ganzheitlich und nachhaltig sie mein Leben verändert hat und immer noch verändert. Falls du möchtest, kannst du ja mal unter diesem Link Tassilos kostenloses Onlinetraining anschauen, da bekommst du vielleicht direkt ein paar hilfreiche Tipps:
      https://events.genndi.com/register/169105139238457079/219e5cf39f?fbclid=IwAR3z2qAollit6x-1aD5FrqFRiok56axTnaEc-yQyjokVbHxspDuDsIoqkG8

      Ich wünsche dir alle Kraft, die du brauchst, und unterstütze dich gerne, wenn ich kann!

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